2023 gab es so viele Antisemitismus-Fälle in Deutschland wie nie seit Gründung der Bundesrepublik. Der Publizist Arye Shalicar richtet jetzt eine deutliche Warnung an die deutsche Gesellschaft.

Vor neun Monaten, am 7. Oktober 2023, hat die islamistische Terrorgruppe Hamas Israel überfallen: Sie schießt Tausende Raketen auf Israel, dringt mit Hunderten Kämpfern auf israelisches Gebiet ein – und tötet rund 1.200 Jüdinnen und Juden. Daraufhin startet die israelische Regierung einen Verteidigungskrieg auf Gaza, auch um die Geiseln aus den Händen der Hamas zu befreien. 120 befinden sich laut israelischer Schätzung noch in der Gewalt der Entführer, viele dürften aber nicht mehr am Leben sein.

Seit dem Hamas-Angriff steigt auch in Deutschland der Judenhass. Die Antisemitismus-Meldestelle Rias registrierte 4.782 Fälle im vergangenen Jahr, einen Gutteil davon nach dem 7. Oktober.

Einer, der selbst Judenhass erlebt und deswegen sogar Deutschland verlassen hat, ist der deutsch-israelische Publizist und Politologe Arye Shalicar. Neben rechtsextremem Judenhass sieht er vor allem muslimischen Antisemitismus als großes Problem in Deutschland – und warnt vor Parallelgesellschaften.

t-online: Herr Shalicar, laut Rias gab es im vergangenen Jahr hierzulande knapp 5.000 Fälle von Judenhass. Haben die Deutschen eigentlich nichts gelernt?

Arye Shalicar: Das frage ich mich auch. Zumal die Zahl nur einen Bruchteil darstellt.

Sie gehen also von mehr Fällen aus?

Definitiv. Die Dunkelziffer ist viel höher. Ich schätze, dass die knapp 5.000 gemeldeten Fälle etwa zehn Prozent ausmachen. Viele Juden in Deutschland leben in täglicher Angst. Wenn sie jeden Vorfall melden würden, kämen sie zu nichts anderem mehr. Dabei kommt der Antisemitismus oft aus der muslimischen Ecke.

Ob in Afghanistan, Syrien oder im Jemen: Leider bekommen viele Muslime von klein auf mit dem Schlagstock des Vaters und der Muttermilch der Mutter Judenhass beigebracht.

Ein wenig, ja. Doch die Realität ist nun mal: Judenhass ist sehr verbreitet in der muslimischen Welt. Das bestätigt auch jeder Experte. Auch ich habe in meiner Jugend tausendfach Judenhass erfahren.

Weshalb Sie nach Israel ausgewandert sind.

Richtig. Wäre ich damals in Berlin in Spandau geblieben und nicht in den Wedding gezogen, wäre ich sicher nicht ausgewandert. Die Realität war damals eine andere.

In der Grundschule in Spandau hatten von 23 Kindern sieben einen Migrationshintergrund – es gab einen Türken, einen Kurden, ich war der Perser und so weiter. Eine deutsche Mehrheit hat die Minderheit von Migranten sehr gut integrieren können. Im Wedding sah es anders aus: Von 30 Kindern waren 29 Muslime. Das ist nicht Multikulti, sondern nur eine einzige Kultur. Deshalb habe ich mich nicht mehr mit Deutschland vertragen. Ich habe das Land nicht mehr erkannt.

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Gehört der Islam denn zu Deutschland?

Ja. Alle Religionen, alle Hautfarben, gehören zu Deutschland. Ich selbst habe einige muslimische Freunde, die nichts mit dieser gewaltbereiten, islamistischen Form des Islam zu tun haben wollen. Die perfekt integriert sind.

Es liegt sehr viel vor uns. Neben den Integrierten gibt es auf der anderen Seite Muslime, die komplett abgedriftet sind. Die neben Juden auch Kurden oder moderate Muslime angreifen. Und dann gibt es viele in der Mitte, die zwischen den Stühlen sitzen. Die oft enttäuscht sind von der deutschen Politik, die sich ausgeschlossen fühlen. Die gesamte deutsche Gesellschaft ist gefragt, um sie abzuholen. Es ist eine Art Tauziehen zwischen der deutschen Mehrheitsgesellschaft, die sich attraktiv machen muss, und den Extremen.

Dann laufen wir Gefahr, dass viele Muslime abdriften. Schon jetzt muss man sich auf deutschen Straßen als Jude vor jungen, gewaltbereiten Muslimen sorgen. Diese gewaltbereiten Männer treffen auf die Plattform „Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg“. Deutschland hat sein Versprechen, Juden zu schützen, noch nie ernsthaft durchgehalten.

(Quelle: Uwe Steinert/imago-images-bilder)

Arye Sharuz Shalicar, geboren 1977, ist ein deutsch-israelischer Politologe, Publizist und Autor persisch-jüdischer Herkunft. Er war von 2009 bis 2017 Sprecher der israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF). Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 war er als Reservist bis zum 1. Mai 2024 erneut als IDF-Sprecher tätig. Sein bekanntestes Buch ist „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“, in dem er über seine Jugend in Berlin erzählt. Es wurde 2021 verfilmt.

Das ist ein schwerer Vorwurf.

Es hat sich ein neuer linker Judenhass breitgemacht. Das kam seit den 1968ern auf, als von der sogenannten Israelkritik geredet wurde: Jeder Jude muss sich für die Politik in Israel rechtfertigen. Wie wäre die Welt, wenn es zum Beispiel 17 jüdische Staaten gäbe? Auf einen einzigen jüdischen Staat wird jedoch alles projiziert. Der Chef dieses Staates, Benjamin Netanjahu, ist der Über-Jude, der alles duldet. Diese linke Denke ist hochproblematisch, weil sie wesentlich zum Antisemitismus beiträgt. Immer heißt es, Israel sei der Böse, die Palästinenser seien der Underdog, der vermeintlich Schwache. Doch das stimmt nicht.

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