Die Historie der Mount-Everest-Besteigungen muss möglicherweise neu geschrieben werden. Der Fund eines Fußes versetzt die Bergsteigerwelt in Aufregung.

Einem Expeditionsteam des „National Geographic“ ist eine sensationelle Entdeckung gelungen: Es fand einen alten Bergsteigerstiefel, in dem noch ein Fuß steckte. Aber vor allem sind es die auf der Socke aufgestickten Initialen, die nun für angehaltenen Atem in der Alpinistenszene sorgen.

„A. C. Irvine“ steht auf dem Stoff. Und das bedeutet: Schuh, Socke und Fuß gehörten mit hoher Wahrscheinlichkeit dem vermissten Bergsteiger Andrew Comyn Irvine, genannt „Sandy“.

Gemeinsam mit seinem Partner George Mallory war Irvine vor 100 Jahren aufgebrochen, um den 8.848 Meter hohen Mount Everest zu besteigen. Das war vor den beiden Briten noch niemandem gelungen – und auch nach ihnen lange keinem. Die erste dokumentiere Everest-Besteigung wird heute Edmund Hillary und Tenzing Norgay zugerechnet, die den Gipfel 1953 erreichten. Aber bis heute beschäftigt die Historiker die Frage, ob Irvine und Mallory diese Leistung rund 30 Jahre früher möglicherweise auch schon gelungen ist.

Die beiden Bergsteiger kamen von ihrer Unternehmung nie zurück. Lange Zeit galten beide als verschollen – bis zunächst 1999 die Leiche Mallorys auftauchte. Die am Berg gefundene Leiche wies tiefe Einschnitte eines Seils auf, was Experten zufolge auf einen Sturz hindeuten könnte, bei dem ein um die Taille geschlungenes Seil den verunglückten Bergsteiger aufgefangen hatte. Mallorys rechtes Bein war gebrochen, sein unverletztes linkes Bein lag vorsichtig über dem Bruch. Dies interpretierten die Fachleute als Hinweis darauf, dass Mallory nach dem Sturz noch gelebt haben könnte.

Zwei Indizien heizten die Spekulationen darüber an, ob Irvine und Mallory vor ihrem Absturz auf dem Gipfel gewesen waren. Erstens hatte Mallory seine dunkle Schneebrille in der Tasche und nicht auf dem Kopf, was bedeuten könnte, dass der Sturz abends auf dem Rückweg geschah. Und zweitens hatte Mallory das Foto seiner Frau nicht mehr bei sich, das er mitgenommen hatte, um es auf dem Gipfel zu lassen.

Der endgültige Beweis aber fehlt bis heute. Aber nun gibt es Hoffnung: Der Fund von Irvines Schuh könnte ein Meilenstein auf dem Weg dorthin sein. Denn Irvine hatte 1924 eine Taschenkamera bei sich. Mit ihr wollte er Fotos machen, wenn er den Gipfel erreicht.

Der Schuh nährt jetzt die Erwartung, dass irgendwo in der Nähe auch der Körper von Irvine liegen könnte – und so das große Rätsel um die Mount-Everest-Erstbesteigung endlich gelöst werden kann.

Entsprechend groß war die Freude des „National Geographic“-Filmteams, als es diesen September im schmelzenden Eis auf der weiten Fläche des zentralen Rongbuk-Gletschers unterhalb der Mount-Everest-Nordwand auf den Stiefel traf. Das rissige Leder war alt und abgenutzt, die mit rautenförmigen Stahlnägeln beschlagene Sohle verdeutlichte sofort, dass hier ein historischer Fund geglückt war.

Als dann auch noch die Initialen „A. C. Irvine“ auftauchten, drehte das Team komplett durch: „Wir rannten alle buchstäblich im Kreis und konnten nicht mehr aufhören zu fluchen“, sagte Regisseur Jimmy Chin.

Mitglieder der Irvine-Familie hätten sich bereit erklärt, DNA-Proben abzugeben, um sicherzugehen, dass der Fuß im Stiefel wirklich Andrew Irvines war, hieß es weiter. „Das ist ein Objekt von ihm und es ist etwas von ihm darin“, sagte Chin zufolge Irvines Großnichte Julie Summers.

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