Russland veröffentlicht ein mitgeschnittenes Gespräch deutscher Offiziere zum Waffensystem Taurus. Das politische Berlin ist in Aufruhr – der Kanzler spricht von einer „sehr ernsten Angelegenheit“.

Russland hat ein internes Gespräch deutscher Luftwaffen-Offiziere veröffentlicht und damit Bundeswehr und Bundesregierung bloßgestellt. Groß ist die Sorge, dass weitere sicherheitsrelevante Kommunikation deutscher Stellen abgehört worden sein könnte. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach am Wochenende von einer „sehr ernsten Angelegenheit“. Auf eine Frage der Deutschen Presse-Agentur nach möglichen außenpolitischen Schäden sagte er am Rande eines Besuchs in Rom: „Deshalb wird das jetzt sehr sorgfältig, sehr intensiv und sehr zügig aufgeklärt. Das ist auch notwendig.“

Luftwaffen-Gespräch wurde wohl abgehört

Am Freitag hatte Russland ein mitgeschnittenes Gespräch hoher Offiziere veröffentlicht, in der sie Einsatzszenarien für den deutschen Marschflugkörper Taurus erörterten, falls dieser doch noch an die Ukraine geliefert würde. Das deutsche Verteidigungsministerium teilte mit: „Es ist nach unserer Einschätzung ein Gespräch im Bereich der Luftwaffe abgehört worden. Ob in der aufgezeichneten oder verschriftlichten Variante, die in den sozialen Medien kursieren, Veränderungen vorgenommen wurden, können wir derzeit nicht gesichert sagen.“

Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl (SPD), forderte stärkere Sicherheitsvorkehrungen. „Erstens müssen umgehend alle Verantwortlichen auf allen Ebenen der Bundeswehr umfassend zu geschützter Kommunikation geschult werden“, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Zweitens müsse sichere und geheime Kommunikation stabil gewährleistet sein. Drittens forderte Högl, mehr in die Spionageabwehr zu investieren und den Militärischen Abschirmdienst (MAD) dafür zu ertüchtigen.

Luftwaffe diskutierte intern Szenarien zu Taurus

In der Schaltkonferenz erörtern vier Offiziere, darunter Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz, zur Vorbereitung eines Gesprächs mit Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) Einsatzszenarien für den Taurus. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass eine baldige Lieferung und ein schneller Einsatz nur mit Beteiligung deutscher Soldaten möglich wäre – und dass eine Taurus-Ausbildung ukrainischer Soldaten für einen Einsatz in alleiniger Regie möglich wäre, aber Monate dauern würde. Diskutiert wird auch über die mögliche Zerstörung der von Russland gebauten Brücke zur völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Halbinsel Krim.

Allerdings ist in dem Mitschnitt auch zu hören, dass es auf politischer Ebene kein grünes Licht für die Lieferung der von Kiew geforderten Marschflugkörper gibt. Kanzler Scholz hatte sein Nein zu einer Taurus-Lieferung damit begründet, dass Deutschland dann in den Krieg hineingezogen werden könnte. „Wir dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein“, sagte er auf einer Veranstaltung der Deutschen Presse-Agentur Anfang letzter Woche gesagt. Bei einem Bürgergespräch in Dresden erklärte er später, die Waffe könne bei einem falschen Einsatz Moskau erreichen. Andere hätten dann Sorge zu tragen, wo was genau lande. „In unserem Fall würde das bedeuten, dass wir uns beteiligen müssten, um das zu können. Das wiederum halte ich für ausgeschlossen.“

Pistorius: Mitschnitt ist Teil von Putins Informationskrieg

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) wertete die Veröffentlichung des internen Gesprächs durch Russland als „hybriden Angriff zur Desinformation“. „Es ist Teil eines Informationskriegs, den Putin führt“, sagte der SPD-Politiker am Sonntag in Berlin mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin. „Es geht um Spaltung. Es geht darum, unsere Geschlossenheit zu untergraben. Und dementsprechend sollten wir besonders besonnen darauf reagieren, aber nicht weniger entschlossen.“ Es gehe darum, „Putin nicht auf den Leim zu gehen“, betonte Pistorius.

Der Minister sagte, ihm lägen bislang keine Erkenntnisse über weitere Leaks oder das Mithören von weiteren Telefonaten vor. Er erwartet in den ersten Tagen der neuen Woche Ergebnisse der internen Prüfung des Vorgangs. Auf die Frage nach möglichen personellen Konsequenzen sagte er: „Ich spekuliere grundsätzlich nicht vor Abschluss solcher Untersuchungen über personelle Konsequenzen. Das wäre definitiv viel zu hoch gegriffen.“

Union stellt Scholz“ Glaubwürdigkeit infrage

Die Union liest aus dem veröffentlichten Gespräch der Luftwaffen-Offiziere heraus, dass eine Beteiligung deutscher Soldaten bei einem Taurus-Einsatz durch die Ukraine technisch nicht zwingend erforderlich ist. Der Chef der CSU-Bundestagsabgeordneten, Alexander Dobrindt, sagte dem „Spiegel“, der Kanzler begründe seine Ablehnung von Taurus-Lieferungen „möglicherweise mit einer Falschdarstellung“. Er forderte: „Der Bundeskanzler muss sich dafür vor dem Bundestag erklären.“ Ein Untersuchungsausschuss könne nicht ausgeschlossen werden. Die Union beantragte zudem nach Angaben von Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) eine Sondersitzung des Verteidigungsausschusses, zu der auch Scholz erscheinen soll.

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