Nach einem mutmaßlichen islamistischen Anschlag in München ist die Migrationsdebatte im deutschen Wahlkampf vollends entbrannt. Die AfD profitiert davon. Wie reagiert die Union darauf?
Wieder ein Anschlag. Verstörende Bilder. Ein beschädigter Mini-Cooper auf einer Münchner Straße. Beschädigt, weil ihn ein 24-jähriger aus Afghanistan geflüchteter Mann in einen Verdi-Demonstrationszug gefahren hat. Nach einem abgelehnten Asylantrag hatte er dennoch in Deutschland bleiben können und hatte 2021 sogar eine Aufenthaltserlaubnis erhalten.
Es ist davon auszugehen, dass es sich um einen islamistischen Anschlag handelte. Insbesondere, weil der Täter dies selbst gegenüber der Polizei bekräftigte. Seine Radikalisierung scheint in einem kurzen Zeitraum stattgefunden zu haben.
Islamismus ist kein neues Problem. Man könnte bis zu 9/11 oder der sogenannten Islamischen Revolution im Iran zurückgehen. In Deutschland haben islamistische Bewegungen – dschihadistisch und legalistisch – lange Zeit relativ unbedrängt arbeiten können. Die legalistischen Gruppierungen wurden teilweise sogar von der Politik hofiert.
Etliche Kriegsverbrecher des sogenannten Islamischen Staats (IS) wurden in Deutschland rekrutiert – darunter auch eine nennenswerte Zahl an Konvertitinnen und Konvertiten. So wäre der Anschlag in München also erneut Anlass genug, um über Islamismus zu sprechen.
Doch es ist auch Wahlkampf. Wir befinden uns in der „Crunch-Time“, es sind nur noch sechs Tage. Und die ewige Fantasie der AfD ist in Erfüllung gegangen: Migration ist das alles bestimmende Wahlkampfthema.
Spulen wir zurück: zum 27. Januar 2025. Es war eine historische Woche. Sie begann mit dem 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee. Am Mittwoch kam es dann, nach der alljährlichen Gedenkzeremonie anlässlich des 27. Januars im Deutschen Bundestag, zum historischen Tabubruch. Die Unionsfraktion unter Führung von Friedrich Merz brachte einen sogenannten Entschließungsantrag ein. Dieser ist nicht rechtlich bindend.
Umso schockierender, dass man sich die Mehrheit dafür ausgerechnet bei der extrem rechten AfD holte. Auch wenn das anschließend eingebrachte Zustrombegrenzungsgesetz dank des Ausscherens einiger Unions- und FDP-Abgeordneter keine Mehrheit fand, war der Schaden irreparabel.
Immer wieder war aus den Reihen von Konservativen und Liberalen zu hören, dass es eben die Mehrheit der Bevölkerung sei, die eine radikale Veränderung der Migrationspolitik fordere. Es klang immer wieder so, als würde es sich hier um einen Akt direkter Demokratie handeln. Der Union sei also gar nichts anderes übrig geblieben.
Eine äußerst fragwürdige Argumentation – nicht nur, weil die AfD in ihrer Selbstinszenierung als „Stimme des Volkes“ mehr direkte Demokratie fordert. Es ist auch die historische Erfahrung, dass Minderheitenrechte geschützt werden müssen.
Monty Ott ist Autor, Politik- und Religionswissenschaftler. Er hat in Hannover studiert. Ott beschäftigt sich in seinen Schriften häufig mit Themen wie jüdischer Identität, Geschichte und Erinnerungskultur. Anfang 2023 ist sein gemeinsam mit Ruben Gerczikow verfasster Reportageband „Wir lassen uns nicht unterkriegen – Junge jüdische Politik in Deutschland“ erschienen. Monty Ott lebt und arbeitet in Berlin.
Maximilian Steinbeis, Autor des Verfassungsblogs, spricht davon, dass die Wunsiedel-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2009 gezeigt habe, dass „Anti-Nationalsozialismus das Fundament unseres Staatswesens ist“. Das Urteil ist, verkürzt gesagt, eine Grundsatzentscheidung, wonach es rechtmäßig ist, dass Volksverhetzung unter Strafe steht.
Denn: Das Grundgesetz soll doch gerade vor einer Tyrannei der Mehrheit schützen. Gerade wenn es eine Mehrheit ist, die mit der extremen Rechten entsteht.
Im Jahr 2022 schrieb der Politikwissenschaftler Claus Leggewie, dass die „Gretchenfrage rund um den Globus lautet […], ob die konservativen Parteien der radikalen Rechten standhalten oder nachgeben.“ Das „Wackeln der Konservativen“, so führte Leggewie in dem nach wie vor sehr aktuellen Essay aus, habe zur „demokratischen Regression“ beigetragen, die „seit der Jahrtausendwende weltweit zu registrieren ist“.
Und dieses Wackeln erreicht auch in Deutschland einen ganz neuen Höhepunkt: Mit der Aussicht auf den Wahlsieg in einer knappen Woche scheinen sich viele mit großem Tamtam proklamierte Tabus aufzulösen. Zumindest vermittelt die Union aktuell diesen Eindruck.
Zwar hat der Kanzlerkandidat Friedrich Merz lange seine Autorität als CDU-Vorsitzender genutzt, um die „Brandmauer“ gegen die AfD aufrechtzuerhalten, doch scheint sie mit abnehmender Zeit bis zum Wahltag immer mehr zu bröckeln. Auch wenn Merz mehrfach betont hat, es werde keine Zusammenarbeit mit der AfD geben.
