Hamburg, Aschaffenburg, Siegen, Mannheim, Würzburg: Bei vielen der Angriffe der vergangenen Zeit waren es Migranten, die einschritten. Wer sind diese mutigen Menschen? Und warum griffen ausgerechnet sie ein und nicht andere?
Gewalterfahrungen, sehr traditionelle Männlichkeitsnormen: Davon ist oft die Rede, wenn Migranten schwere Straftaten begehen. Einige Nationalitäten sind dabei überrepräsentiert. Das liegt zum Teil daran, dass der Anteil der Männer aus diesen Ländern im „kriminologisch relevanten“ Alter höher ist als in der überalterten deutschen Bevölkerung. Ein weiterer Grund ist, dass sie statistisch häufiger in schwierigen sozialen Verhältnissen und an Brennpunkten leben. Und immer wieder ist eben auch von kulturellen Gründen die Rede, davon, dass die Täter aus Gesellschaften stammen, in denen traditionelle, gewaltbereite Männlichkeitsbilder dominieren.
Das alles könnte aber auch eine Rolle spielen, wenn Migranten die Retter in der Not sind. Denn häufig sind es auch nach Deutschland Geflüchtete, die sich mit Messern bewaffneten Angreifern entgegenstellen, die Amoktäter verfolgen und zu Helden werden. Zuletzt waren es ein Afghane und ein Tschetschene in Hamburg, die eine mutmaßlich psychisch kranke Deutsche stoppten, als diese wahllos am Bahnsteig auf Menschen einstach.
Diese Beobachtung hat auch der Sozialpsychologe Dieter Frey gemacht. Der Professor ist Leiter des Center for Leadership and People Management der LMU München und einer der renommiertesten Forscher zu Zivilcourage und Entscheidungsprozessen: „Mir ist aufgefallen, dass insbesondere Männer mit Migrationshintergrund häufiger eingreifen und in Konfliktsituationen mutiger auftreten“, sagt er.
Sechs Fälle machen greifbar, was sich dahinter verbergen kann.
Dieter Frey von der Ludwig-Maximilian-Universität sieht eine Vielzahl von Gründen, warum Migranten in kritischen Situationen auffällig oft Hilfe leisten. Viele dieser Menschen hätten in ihrem bisherigen Leben häufiger persönliche Erfahrungen mit Ungleichbehandlung, Diskriminierung, verbaler oder sogar physischer Aggression gemacht. „Das macht sie oftmals sensibler für solche Situationen und befähigt sie, sich besser in andere hineinzuversetzen.“
Die Sozialisation spiele ebenfalls eine große Rolle: „In vielen Kulturen wird von Männern erwartet, Stärke zu zeigen und sich durchzusetzen. Das kann dazu führen, dass sie sich im Durchschnitt sicherer fühlen, wenn es darum geht, in potenziell gefährlichen Situationen einzugreifen.“
In Familien mit Migrationsgeschichte tausche man sich auch häufiger darüber aus, wo man wieder benachteiligt oder ungerecht behandelt wurde – und wie man sich beim nächsten Mal besser zur Wehr setzen kann. „Daraus entsteht bei vielen jungen Männern die Überzeugung: ‚Ich muss mich wehren, sonst gehe ich unter.'“ Das Empfinden, sich behaupten zu müssen, könnte auch zu selbstständigerem Handeln führen: „Dafür spricht, dass Menschen mit Migrationshintergrund auch oft Gründer von Start-ups sind.“