Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm, schlägt in eine ähnliche Kerbe. Er sieht nach der Gerichtsentscheidung vorerst keine Notwendigkeit, das derzeitige Vorgehen zu ändern. „Wir werden die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Berlin natürlich genau prüfen“, sagte der CDU-Politiker der Nachrichtenagentur dpa. Er betonte gleichzeitig: „Die Zurückweisungen müssen fortgesetzt werden.“

Die rechtliche Zulässigkeit der Zurückweisungen ist umstritten. Rechtsexperten weisen darauf hin, dass pauschale Zurückweisungen von Asylsuchenden an den Grenzen gegen europäisches Recht verstoßen könnten.

Migrationsrechtsexperte Winfried Kluth sagte der Nachrichtenagentur dpa, die Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts liege „ganz auf der Linie der herrschenden Meinung im Migrationsrecht und der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs“ (EuGH).

Die neue Bundesregierung wolle die Rechtsprechung dazu bewegen, ihren Standpunkt zu ändern, sagte Kluth weiter. Ziel seien letztlich Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), die mehr Spielräume eröffnen würden, so der Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration.

Zudem werde versucht, unter Verweis auf die Überlastung der Kommunen eine neue Argumentation zu etablieren – nämlich für eine weitreichendere Auslegung der Wahrung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit gemäß Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Diese sogenannte Notlagenklausel erlaubt Ausnahmen vom europäischen Freizügigkeitsrecht.

„Ob man von der Lage in einzelnen Kommunen auf ganz Deutschland schließen kann, ist aber sehr fraglich“, gab Kluth zu bedenken. Solange das zuständige höchste Gericht nicht ausdrücklich anders entschieden habe, sei es durchaus möglich, eine neue, bislang nicht etablierte Auslegung einer Norm anzustreben, erklärte er.

Der aktuelle Fall werfe aber auch die Frage auf, wer die Feststellung treffen könne, dass eine Ausnahmelage im Sinne von Artikel 72 vorliegt. „Das ist eine Entscheidung von großer Tragweite, weil damit der Vorrang des Unionsrechts partiell durchbrochen wird“, sagte der Jurist, der als Professor für Öffentliches Recht an der Uni Halle-Wittenberg lehrt.

Aus seiner Sicht müsste eine solche Entscheidung die gesamte Bundesregierung oder sogar der Bundestag treffen – ähnlich wie die Entscheidung über die epidemische Lage von nationaler Tragweite in der Corona-Pandemie. Dies müsste dann auch förmlich den Nachbarstaaten und der EU-Kommission mitgeteilt werden.

Rechtsexperte Daniel Thym ist der Ansicht, dass es für die Zurückweisungen an der Grenze einer anderen Begründung bedarf. Der Professor der Uni Konstanz sagte im Deutschlandfunk: „Wenn ich eine Begründung liefern würde, dann würde ich auf die Herausforderungen bei der mittel- und dauerhaften Integration abstellen.“

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