Der HSV braucht einen neuen Cheftrainer. Sportvorstand Stefan Kuntz sollte bei der Kandidatensuche den Blick in die eigenen Reihen nicht vergessen.
Es braucht manchmal nicht viel, um die Welt wieder in helleren Farben zu sehen: Nach dem 3:1-Sieg in Karlsruhe ist der Hamburger SV auf Platz 2 geklettert und steht wieder dort, wo er sich selbst sieht – auf einem Aufstiegsplatz. Dabei liegt die Entlassung von Steffen Baumgart nach einem mehr als peinlichen Auftritt gegen Schalke 04 (2:2) nur wenige Tage zurück.
Merlin Polzin ist es gelungen, die HSV-Profis binnen einer Woche wieder auf die richtige Spur zu lenken. Der 34-Jährige besann sich auf einfache Änderungen: Er ließ wieder im gewohnten 4-3-3-System anstelle des von Baumgart favorisierten 3-5-2-Systems spielen und konzentrierte sich auf einen kontrollierten Offensivfußball mit klaren Anweisungen. Der Interimscoach schickte damit auch ein Zeichen an Stefan Kuntz, der in diesen Tagen einen Baumgart-Nachfolger sucht: Die Lösung liegt manchmal näher, als man denkt.
Jean-Luc Dompé bekam von Polzin das Vertrauen für die Startelf und zahlte dieses mit zwei Toren und einer Vorlage zurück. Trotz mancher Fehler im Spiel wirkte der HSV so fokussiert wie seit Wochen nicht mehr – an mancher Stelle traten die Hamburger sogar dominant und spielfreudig auf. Und sie hatten in entscheidenden Szenen das Glück auf ihrer Seite.
Dass der HSV einen verdienten Sieg eingefahren hat, kam unter Baumgart nur selten vor. Merlin Polzin verschafft dem Verein damit eine enorm wichtige Sache: Ruhe.
Der junge Trainer kennt den HSV schon lange, er ist seit fast viereinhalb Jahren Co-Trainer der Profis. Er hat neben Baumgart auch unter Walter und Thioune gelernt und absolviert aktuell den Kurs zur Pro-Lizenz. Besteht er im Dezember die Prüfung, darf er danach offiziell als Cheftrainer im Profibereich arbeiten.
Könnte es also auf eine Dauerlösung mit Merlin Polzin als Cheftrainer hinauslaufen? Klar ist jedenfalls, dass der 34-Jährige gemeinsam mit seinem Co-Trainer Loïc Favé ein hohes Ansehen bei der Mannschaft hat. Das Duo weiß offenbar, wie es mit den Profis umgehen muss, wie man sie taktisch einstellen, ansprechen und motivieren kann.
Sportvorstand Stefan Kuntz kann sich nun in Ruhe darum kümmern, die bestmögliche Lösung für den HSV zu finden. Das wäre ein Trainer, der nicht nur kurzfristig auf das Dauerziel Aufstieg schielt, sondern eine langfristige Vision hat, wie sich der Verein entwickeln soll. Der ihn versteht und ihm eine Identität gibt. Wie das aussehen kann, hat Merlin Polzin selbst schon unter Tim Walter und Jonas Boldt erlebt.
Bis zur Winterpause hat der HSV noch drei Spiele, zwei davon im eigenen Stadion. Einen neuen Trainer muss Stefan Kuntz für diesen Jahresendspurt nicht einstellen – denn diese Chance hat sich Merlin Polzin durch seine bisherige Arbeit verdient.