Aufklärung bei Autismus
Menschen mit Asperger-Syndrom können ein normales Leben führen
dpa-tmn, t-online, Claudia Urban
Aktualisiert am 05.11.2024 – 09:05 UhrLesedauer: 5 Min.
Wunderkinder, Egozentriker, Eigenbrötler – und auch Tesla-Chef Elon Musk: Um das Asperger-Syndrom existieren viele Klischees. Lesen Sie hier, wie sich das Asperger-Syndrom bemerkbar macht.
Sie fallen oft schon in der Schule auf und gelten als Sonderlinge oder Egozentriker: Kinder mit Asperger-Syndrom. Während andere Kinder für viele neue Erfahrungen offen sind, sind ihre Interessengebiete oft stark eingeschränkt. Manche interessieren sich für ungewöhnliche Themen wie Rohrleitungssysteme oder Abflugpläne einer Airline, denen sie mit großer Akribie nachgehen.
Von Mitschülern und Außenstehenden werden sie bisweilen belächelt und haben oft Schwierigkeiten, sich zu integrieren. In Gesprächen und Alltagssituationen zeigen Kinder mit Asperger-Syndrom oft unerwartete Reaktionen. Freunde haben sie meist nicht. Ihre schulischen Leistungen sind durchaus normal, können aber auch überdurchschnittlich sein.
Der Chef des Elektroautoherstellers Tesla und Gründer der Raketenfirma SpaceX, Elon Musk, hat in seiner Biografie beschrieben, dass er am Asperger-Syndrom leidet. Dort heißt es, er nähere sich Menschen vor allem analytisch und könne emotionale Signale schlechter wahrnehmen als andere.
Das Asperger-Syndrom ist angeboren und beeinflusst die Entwicklung. Eine allgemeingültige, trennscharfe Definition gibt es nicht. Die britische Psychiaterin Lorna Wing beschreibt das Asperger-Syndrom als Beeinträchtigung
- der sozialen Interaktion,
- der sozialen Kommunikation und
- des sozialen Verständnisses.
Vor allem die Fähigkeit, nichtsprachliche Signale, also Gestik, Mimik oder Blicke von Menschen zu erkennen und auszuwerten, ist beeinträchtigt. Daraus resultiert ein mangelndes Einfühlungsvermögen, das den Umgang mit anderen Menschen erschwert. Gefühle der Mitmenschen können nicht oder nur schwer gedeutet werden. Auch die Einordnung verschiedener Tonfälle bereitet Probleme, Blickkontakt fällt oft schwer.
Es herrscht Uneinigkeit darüber, ob es als Krankheit oder als eine besondere Variante der menschlichen Informationsverarbeitung eingestuft werden sollte. Im medizinischen Klassifikationssystem ICD ist es als F84.5 gekennzeichnet. Schätzungsweise 0,9 Prozent der Bevölkerung haben das Syndrom.
Wichtig sei es, einen Autismus früh zu erkennen, sagt Psychologin Inge Kamp-Becker vom Uniklinikum Marburg. „Sonst gibt es so einen Rattenschwanz von Missverständnissen, so wie Frust, Hänseleien und fehlende Akzeptanz in der Schule, bei der Arbeit und in den Beziehungen“, fügt Prof. Ludger Tebartz van Elst von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Uniklinikum Freiburg hinzu.
Auffälliges Verhalten bei Kindern sollten Eltern immer ernst nehmen, etwa wenn Kinder leicht Wutanfälle bekommen, sich im Miteinander auffallend ungeschickt verhalten oder am liebsten alleine spielen. Häufig weisen die Kinder auch Entwicklungsstörungen auf, wie beispielsweise ungeschickte Motorik.
Menschen mit Asperger-Syndrom fällt es schwer, Kontakte zu anderen Menschen zu knüpfen. Sie können nicht angemessen mit anderen kommunizieren oder Kontakt aufnehmen und haben eingeschränkte Interessen. Außerdem ist ein zwanghaftes Festhalten an Wiederholungsroutinen typisch, Aktivitäten werden häufig stereotyp ausgeführt.
Eltern fragen sich, wie sie die Symptome erkennen, die darauf hinweisen, dass ihr Kind das Asperger-Syndrom hat. „Eltern merken zwar meist schon früh, dass ihre Kinder irgendwie anders sind“, sagt Kamp-Becker. „Auffällige Verhaltensweisen werden aber im Kleinkindalter oft noch toleriert.“ Im Unterschied zu Kindern mit frühkindlichem Autismus sind Asperger-Autisten nicht weniger intelligent und haben keine Sprachentwicklungsstörungen.
Gerade weil sich die Sprachentwicklung nicht verzögert, werde das Asperger-Syndrom häufig erst gegen Ende der Grundschulzeit oder noch später festgestellt. Ein Asperger-Syndrom bedeute aber nicht, dass Betroffene zwangsläufig nur einen leicht ausgeprägten Autismus haben oder – wie oft behauptet – hochbegabt sind. Das Asperger-Syndrom fällt aber gelegentlich mit einer Inselbegabung zusammen.
Autisten können Mimik und Gestik nicht verstehen, Gefühlsregungen ihres Gegenübers nicht einordnen. Es fällt ihnen schwer zu erkennen, welche Absicht jemand in einem Gespräch verfolgt. „Das ist eine Fähigkeit, die sich normalerweise etwa im vierten Lebensjahr herausbildet, und die wahrscheinlich viel mit der Vernetzung verschiedener Hirnareale zu tun hat“, sagt Prof. Tebartz van Elst.
Autistische Menschen entwickelten diese Fähigkeit nur eingeschränkt. In komplexen sozialen Situationen sind sie daher oft überfordert. Daraus resultiere wahrscheinlich auch das starke Bedürfnis nach Routinen und erwartungsgemäßen Abläufen oder die intensive Beschäftigung mit Details, erklärt der Mediziner.
Es gibt online Tests für Kinder und Erwachsene. Allerdings unterscheiden diese nicht zwischen verschiedenen Formen von Autismus – denn das Autismusspektrum ist breit. Das Ergebnis sollte nur als eine erste Einschätzung gesehen werden. Außerdem kann es bei Resultaten von Autisten und Nicht-Autisten zu Überschneidungen kommen. Doch auch bei der Diagnose durch einen Psychiater ist eine gewisse Willkür nicht auszuschließen, was als Autismus gekennzeichnet wird und was nicht.