Was lief falsch in der Corona-Pandemie? Die Politik scheitert noch immer daran, das aufzuarbeiten. Dabei wäre es dringend nötig – sagen Virologe Christian Drosten und Journalist Georg Mascolo.

Maskenpflicht, Ausgangssperren, Schulschließungen: Die Politik hat in der Corona-Pandemie tief in den Alltag der Menschen eingegriffen. Doch eine Aufarbeitung der Ausnahmezeit? Das bekommt die Ampelregierung bis heute nicht hin.

Eine Aufarbeitung aber wäre dringend notwendig, findet eine der wichtigsten und umstrittensten Figuren der Pandemie: Christian Drosten. Der Berliner Virologe hat mit dem Journalisten Georg Mascolo ein Buch veröffentlicht: „Alles überstanden? Ein überfälliges Gespräch zu einer Pandemie, die nicht die letzte gewesen sein wird“, heißt es.

Im Interview mit t-online geben die beiden Antworten auf die zentralen Fragen: Welche Fehler machten Politik, Medien, Wissenschaft? Welche Wunden müssen geheilt werden?

t-online: Herr Drosten, Herr Mascolo, die Ampelkoalition wird sich wohl nicht mehr auf eine gemeinsame Corona-Aufarbeitung einigen können. Wie schädlich ist das?

Christian Drosten: Eine Aufarbeitung muss aus meiner Sicht nicht unbedingt auf politischer Ebene stattfinden. Es braucht gesellschaftlich aber dringend eine, um ein paar Dinge festzuhalten, die inzwischen wissenschaftlich eindeutig belegt sind. Wenn wir in der nächsten Pandemie wieder über Dinge reden, über die wir gar nicht mehr zu reden brauchen, werden wir erneut viel Zeit verlieren und Fehlentscheidungen treffen. Jetzt nicht daran zu arbeiten, ist eine verpasste Chance.

Drosten: Nur ein Beispiel: Auch in der nächsten Pandemie werden wahrscheinlich Ältere wieder stärker betroffen sein als Jüngere. Es bringt nichts, dann noch einmal zu diskutieren, ob man statt aller anderer Maßnahmen einfach nur die Altenheime besonders abschirmen könnte. Es ist glasklar belegt, dass das nicht funktioniert. Trotzdem gibt es in der Öffentlichkeit weiter Leute, die diese Idee propagieren, aus welchen Motiven auch immer.

Georg Mascolo: Es ist bedauerlich, dass es offenbar keine politische Aufarbeitung geben wird. Und es ist schädlich. Man überlässt jetzt einem Teil des politischen Spektrums die Debatte, der ganz eigene Interessen damit verfolgt. Selbst Beteiligte an den Verhandlungen innerhalb der Ampel verstehen nicht mehr, warum man sich bei diesem Thema so sehr verhakt. Ich glaube, diese Koalition wird eines Tages zurückschauen und sagen: Das bereuen wir.

Georg Mascolo und Christian Drosten (Quelle: Urban Zintel)

Christian Drosten, 52 Jahre, ist Virologe und war während der Pandemie als Experte in Politik und Medien gefragt wie nur wenige sonst. Er ist Direktor des Instituts für Virologie der Charité Berlin.

Georg Mascolo, 59 Jahre, war früher Chefredakteur des „Spiegel“. Von 2014 bis 2022 leitete er den investigativen Rechercheverbund von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ und veröffentlichte immer wieder zur Pandemie.

Wenn wir erst einmal auf die politischen Prozesse schauen: Was muss aufgearbeitet werden?

Mascolo: Das Ziel muss sein, dass wir uns für eine nächste Krise rüsten, von der wir nicht wissen, wann sie kommen und wie sie aussehen wird. Da gibt es drei bemerkenswerte Schwachpunkte, die in der Corona-Pandemie offenkundig wurden.

Mascolo: Die Bund-Länder-Runden von Kanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten haben in einem späteren Stadium nicht mehr funktioniert. Das sagen inzwischen auch die meisten Beteiligten. Es war eine einzige Überforderung. Allein schon, weil es so sehr ins Detail ging. Wie aber könnte eine Alternative aussehen? In der Frage gibt es keine Entscheidungen, obwohl es kluge Ideen gibt, wie die eines Bundeskrisenstabs, der im Kanzleramt angesiedelt wäre.

Mascolo: Wir haben in der Krise festgestellt, dass die Exekutive sehr schnell handelt und auch handeln muss. Die Tragweite der Entscheidungen in Pandemien verlangt aber, dass sie in den Parlamenten breit debattiert werden. Wie werden die Parlamente also schneller, reaktionsfähiger?

Und die dritte Schwäche?

Mascolo: Die wissenschaftliche Politikberatung hat nicht so funktioniert, wie sie hätte funktionieren müssen. Es gab eine Fülle von Einzelstimmen unterschiedlicher Qualität. Ministerpräsidenten haben sich ihre eigenen Expertengremien geschaffen. Es hätte zu einem frühen Zeitpunkt – so wie dann leider erst am Ende der Pandemie – einen Expertenrat gebraucht, der Ergebnisse und offene Fragen schriftlich festhält.

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