Langzeitfolgen unbekannt
Liraglutid: Kommt nun die Abnehmspritze für Kinder?
Aktualisiert am 13.09.2024 – 10:11 UhrLesedauer: 3 Min.
Aus übergewichtigen Kindern werden sehr oft übergewichtige Erwachsene. Könnten Abnehmspritzen diesen Ablauf durchbrechen? Zu einem Wirkstoff gibt es nun neue Ergebnisse.
Starkes Übergewicht ist auch bei vielen Kindern schon ein großes Problem – umso mehr, da aus fettleibigen Kindern sehr oft adipöse Erwachsene werden. Könnten Abnehmspritzen auch für Menschen unter 18 Jahren eine Lösung sein? Eine Studie weist für den Wirkstoff Liraglutid darauf hin, dass er bei Kindern effektiv wirkt und sicher ist. Untersucht wurde der Effekt bei Sechs- bis Zwölfjährigen.
„Bisher gibt es für diese Altersgruppe keinerlei Medikation, um Adipositas zu behandeln“, sagt Daniel Weghuber vom Uniklinikum Salzburg, der selbst nicht an der Studie beteiligt war. Bei den meisten Jugendlichen mit Adipositas habe diese auch schon zum Zeitpunkt der Einschulung bestanden. Eine so früh wie möglich einsetzende Intervention bei Kindern sei also wichtig.
Bisher stehe als Methode ausschließlich eine Lebensstilveränderung im Rahmen einer Familienschulung zur Verfügung, erklärt Weghuber, Vorstand der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde. „Das ist leicht gesagt, aber sehr schwierig umzusetzen.“ Insofern könne die Verwendung von Liraglutid gerade bei Kindern mit einer extremen Form von Adipositas ein wesentlicher ergänzender Schritt sein.
Neue Daten zeigen, dass Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen ein ernst zu nehmendes Problem sind. Demnach leidet in Deutschland jedes sechste Kind an Übergewicht, jedes 17. sogar an Adipositas.
Wie bei Jugendlichen und Erwachsenen stelle sich aber die Frage, inwiefern die Substanz für eine langfristige Therapie geeignet und sicher sei. „Diese Frage gilt nicht nur für Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren, sondern für alle Menschen mit dieser Therapie“, so Weghuber. Bekannt sei bisher nur, dass es bei einem Absetzen des Mittels beim überwiegenden Teil der Betroffenen wieder zu einer Gewichtszunahme komme.
Liraglutid muss also nach derzeitigem Kenntnisstand langfristig über Jahrzehnte genommen werden. Was für Langzeitfolgen das haben könnte, ist bisher unklar, weil dieses und ähnliche Mittel noch nicht lange genug im Einsatz sind.
Auch Nerys Astbury von der University of Oxford – ebenfalls nicht an der Studie beteiligt – gibt zu bedenken: „Obwohl es keine Hinweise darauf gab, dass sich Liraglutid nachteilig auf Veränderungen der Körpergröße, des Knochenalters oder des Pubertätsstatus auswirkte, sind weitere längerfristige Nachuntersuchungen der Teilnehmer und ihrer Wachstumsmuster erforderlich.“
Martin Wabitsch vom Universitätsklinikum Ulm erklärt, dass eine Hoffnung darin bestehe, dass eine frühzeitige Anwendung des Medikaments zu einer so deutlichen Wirkung führt, dass die Dosis später reduziert oder das Mittel sogar ganz abgesetzt werden kann.
Die neue Studie, die im Fachjournal „New England Journal of Medicine“ vorgestellt wurde, lief über einen Zeitraum von 56 Wochen. Darin einbezogen wurden 82 stark adipöse Kinder in den USA. 56 von ihnen erhielten eine tägliche Injektion mit Liraglutid (Markenname „Saxenda“), 26 Placebo-Spritzen. Alle Teilnehmer seien zudem individuell zu gesunder Ernährung und körperlicher Aktivität beraten worden, schreiben die Forscher der University of Minnesota in Minneapolis.
Der durchschnittliche Body-Mass-Index (BMI) verringerte sich bei den Kindern der Liraglutid-Gruppe um 5,8 Prozent, in der Testgruppe nahm er um 1,6 Prozent zu. Generell legten alle Kinder im Zuge ihres Wachstums an Gewicht zu, die Kinder in der Liraglutid-Gruppe aber nur 1,6 Prozent, die in der Placebogruppe zehn Prozent des Ausgangsgewichts. Die beobachtete Gewichtsveränderung der behandelten Kinder entspreche dem Zehnfachen der bei einer Lebensstiländerung zu erwartenden, ordnet Weghuber ein.
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Nebenwirkungen wie bei älteren Probanden
Die beobachteten Nebenwirkungen entsprachen den zuvor in Analysen mit Jugendlichen und Erwachsenen beobachteten, wie es in der Studie weiter heißt. Häufig waren das Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Knapp elf Prozent der Kinder, die Liraglutid erhielten, brachen die Einnahme aufgrund der Nebenwirkungen ab.
Wabitsch geht davon aus, dass das Medikament künftig vorwiegend für Kinder mit extremer Adipositas infrage kommt – „und sicher nicht für alle Kinder mit Adipositas“. Diese kleine Gruppe von Patienten sei durch eine starke biologische Anlage für Adipositas charakterisiert. Kennzeichnend sei ein Defekt der zentralen Regulation von Hunger und Sättigung. „Genau hier setzt Liraglutid an.“
Liraglutid ist ein sogenannter Glucagon-like-Peptid-1-(GLP-1)-Rezeptoragonist. Es bindet an den GLP-1-Rezeptor. Dadurch wird unter anderem der Appetit gehemmt. Für Jugendliche und Erwachsene ist der Wirkstoff zur Behandlung von Diabetes und Übergewicht auch in Europa zugelassen.