Die Linkspartei wurde schon totgesagt, nun liegt sie in Umfragen über der Fünfprozenthürde. Das liegt auch an der Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek – die in den sozialen Medien eine große Rolle spielt.
Spätestens seit ihrer Rede in der Debatte um die Anträge der CDU zur Migrationsbegrenzung und deren gemeinsamer Abstimmung mit der AfD ist Heidi Reichinnek bekannt. „Auf die Barrikaden“, sagte sie damals laut ins Plenum – manche sagen, es war sogar geschrien.
In den sozialen Medien ist die Spitzenkandidatin der Linkspartei längst eine Art Star, sie hat bei Instagram 340.000 Follower. Mehr als ihre Partei. Bei TikTok sind es gut 500.000, ungefähr doppelt so viele, wie die Linkspartei hat. Reichinnek sorgt dafür, dass die AfD bei TikTok nicht mehr die meisten Likes bekommt. t-online hat mit ihr über ihre Rolle bei Social Media gesprochen, über Migration, aber auch über ihre einst so zerrissene Partei, die derzeit ein überraschend geschlossenes Bild abgibt.
t-online: Frau Reichinnek, sehen Sie sich als letzte Hoffnung gegen die AfD?
Heidi Reichinnek: Nein, auf gar keinen Fall. Die große Hoffnung gegen die AfD ist die Gesellschaft. Das zeigt sich aktuell sehr deutlich durch die vielen Demonstrationen, die ein klares Zeichen senden, und durch die zivilgesellschaftlichen Appelle an alle demokratischen Parteien, keine gemeinsame Sache mit der AfD zu machen. Unsere wehrhafte Demokratie stützt sich vor allem auf die vielen Menschen, die jetzt aktiv werden, um sie zu verteidigen. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich konnte diesem Protest mit meiner Rede lediglich ein wenig Ausdruck verleihen.
Ihre Rede verbreitete sich viral. Überhaupt sieht es so aus, dass die Linke mit Ihnen der AfD Paroli in Social Media bieten kann. Woher kommt das?
Die AfD hat die sozialen Medien sehr früh als wichtigen Faktor erkannt, viel Geld reingesteckt, um Videos zu produzieren und diese gezielt zu verbreiten. Alle demokratischen Parteien, auch meine eigene, haben diese Entwicklung schlicht verschlafen. Das muss man selbstkritisch anmerken.
Als ich 2021 in den Bundestag gekommen bin, wurde ich direkt bei TikTok aktiv und das hat sich gelohnt. Menschen haben damals dringend Stimmen gesucht, die Politik erklären – verständlich, gut und auch witzig. Warum ist Politik für die Menschen relevant? Welche Lösungen gibt es für die Mietenkrise, die steigenden Lebensmittelpreise oder Fragen zu Gesundheit, Rente und Löhnen?
Und das geht auf Social Media am besten?
Natürlich bleiben klassische Formate wie Infostände, Podiumsdiskussionen und Veranstaltungen unerlässlich. Aber die Leute sind eben auch auf Social Media. Allein auf TikTok gibt es über 20 Millionen deutsche Accounts. Drei Viertel der Menschen informieren sich über Kurzvideos. Da muss man präsent sein. Das erfordert Ressourcen, Ideen und Energie. Doch inzwischen läuft das bei allen demokratischen Parteien besser – und in meiner Partei funktioniert es erfreulicherweise sehr gut.
Wie groß ist Ihre Sorge, dass die Jugend zunehmend nach rechts driftet, insbesondere angesichts der Erfolge der AfD?
Die AfD erzielt leider bei Wahlen in fast allen Altersgruppen ähnliche Werte – mit Ausnahme der Menschen über 70. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass diese Generation noch genau weiß, welche Gefahr droht und welche Folgen ein Rechtsruck haben kann. Oft wird der Fokus dann allein auf die Jugend gelegt, aber das greift zu kurz. Dieses Problem betrifft alle Altersgruppen.
Aber die Jugend hat man sonst schon progressiver und eher links erlebt.
Das Positive ist, dass bei den 18- bis 29-Jährigen die Linke und die Grünen jeweils bei etwa 19 Prozent liegen, während die AfD rund 17 Prozent erreicht. Das zeigt, dass es innerhalb dieser Altersgruppe noch viel Bewegung gibt. Allerdings gibt es „die Jugend“ genauso wenig wie „die Alten“ als homogene Gruppe.