SPD-Parteitag in Zeiten der Krise: Bei seiner Rede präsentiert sich SPD-Chef Klingbeil als Zukunft der Partei, setzt aber kaum neue Akzente. Bei seiner Wiederwahl als Parteichef wird er brutal abgestraft.
Das kann er, ohne Zweifel: Kämpferische Reden halten.
SPD-Chef Lars Klingbeil steht am Freitag vor 600 SPD-Delegierten im Berliner CityCube und redet sich die Seele aus dem Leib. Er salbt und labt die Genossenherzen, warnt, poltert, verspricht, bittet um Verständnis und, ja, er entschuldigt sich auch.
„Ich weiß, ich habe Fehler gemacht“, ruft er den Parteifreunden zu. Auch er habe das „katastrophale Wahlergebnis“ im Februar zu verantworten und habe zu spät reagiert, als Ende 2023 die ersten Anzeichen der Wirtschaftskrise sichtbar waren. „Die Krise war da, aber die Sozialdemokratie war nicht voll da“, so der Parteichef. Er spüre die Anspannung im Saal, sagt er, er sei selbst „angespannt“.
Der SPD-Parteitag steht unter keinem guten Stern: Das historisch schlechte Ergebnis bei der Bundestagswahl im Februar steckt noch vielen in den Knochen. Doch es geht um mehr als nur eine Wahlschlappe: Die Sozialdemokratie, darin sind sich die meisten einig, befindet sich in einer historischen Krise. Um wieder Volkspartei zu werden, braucht die SPD neue Inhalte, neue Köpfe, eine neue Erzählung, sagen Parteistrategen. „Veränderung beginnt mit uns“, so das vielsagende Motto des Parteitags.
Klingbeil selbst spricht die Existenzkrise seiner Partei in seiner Rede erstaunlich offen an. Er habe sich im Vorfeld des Parteitags gefragt: „Haben wir nicht vielleicht ein bisschen übertrieben? Braucht es die Sozialdemokratie noch?“ Und mit Blick auf ungenannte „Leitartikler und Kommentatoren“, die die SPD angeblich für tot erklärten, fragt Klingbeil: „Haben die nicht recht?“

Er habe lange darüber nachgedacht und könne „mit voller Überzeugung“ sagen: „Die haben nicht recht, die liegen falsch.“
Ob Klingbeil tatsächlich darüber nachgedacht hat, ob die SPD nicht ihr historisches Ablaufdatum erreicht habe, darf bezweifelt werden. Klingbeil will immerhin weiter SPD-Vorsitzender bleiben und, voraussichtlich, 2029 Kanzlerkandidat werden. Aber der vermeintliche Blick in den Abgrund soll etwas vermitteln: Klingbeil will beweisen, dass er SPD-Chef ist, weil er an die Sache glaubt, und nicht einfach, weil er ganz nach oben will.
Dass es überhaupt eine offene Frage ist, ob Klingbeil aus Überzeugung oder Machtinteresse die Parteigeschicke lenkt, ist mehr als ungewöhnlich. Es zeigt die Vertrauenskrise, in der auch Klingbeil selbst steckt. Der Parteichef muss den Genossen an diesem Wochenende beweisen, dass er die Machtfülle, die er zuletzt angehäuft hat, in den Dienst der Partei stellt. „Deswegen stehe ich heute hier. Nicht aus Selbstzweck, sondern weil ich alles dafür tun will, dass unsere Partei wieder stark wird und dass sie Aufstiegsgeschichten schreiben kann“, erklärt er.
Es hat etwas Widersprüchliches: Klingbeil ist der mächtigste Sozialdemokrat seit Langem und muss doch um seine Stellung in der Partei kämpfen. Viele in der SPD haben noch nicht verdaut, dass Klingbeil als einer der Verantwortlichen des Wahldebakels noch mehr Macht anhäufte, zunächst nach dem Fraktionsvorsitz griff und später sich zum Vizekanzler und Finanzminister machte. Auch gefällt vor allem dem linken Parteiflügel nicht, wie gut Klingbeil sich mit Merz versteht, wo er diesen doch im Wahlkampf regelmäßig verteufelte.
