Deutschland unterstützt die Ukraine mit Waffen, sehr zum Missfallen von Sahra Wagenknecht. Was bezweckt die BSW-Chefin? Und warum lahmt die „Zeitenwende“ von Olaf Scholz? Historiker Jan C. Behrends analysiert die Lage.

Deutschland muss sich gegen die Bedrohung durch Russland wappnen, das derzeit einen Krieg in der Ukraine führt. Doch die von Olaf Scholz verkündete „Zeitenwende“ kommt kaum voran, gerade in der Kanzlerpartei SPD sind die Widerstände groß. Nun spricht das russlandfreundliche Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in drei ostdeutschen Bundesländern mit SPD und CDU über Koalitionen – und macht Russlands Krieg zum Thema der Landespolitik.

Warum ist das so gefährlich? Weshalb sträuben sich Teile der SPD gegen die „Zeitenwende“ und eine kritische Aufarbeitung ihrer jahrzehntelangen Russlandpolitik? Und welche Art der Politik betreibt Sahra Wagenknecht? Diese Fragen beantwortet Jan C. Behrends, Historiker und Osteuropaexperte, im Gespräch.

t-online: Professor Behrends, SPD und BSW verhandeln in Brandenburg über eine Koalition, zuvor hatte man sich darauf geeinigt, „eine diplomatische Lösung des Ukraine-Konflikts“ anzustreben. Wird deutsche Außenpolitik nun in Potsdam betrieben?

Jan C. Behrends: Zum Glück nicht. Die Lage ist aber noch weit dramatischer. Denn neben der SPD in Brandenburg macht die CDU in Sachsen und Thüringen das Spiel des BSW mit – und zwar auf Landesebene Fragen der Außenpolitik zu behandeln, die gar nicht in die Kompetenz der Bundesländer fallen. Das ist töricht und wird langfristig lediglich zu Enttäuschungen bei der Wählerschaft führen. Denn ein Friede in der Ukraine wird weder von Potsdam noch Erfurt oder Dresden ausgehen. Diese Vorstellung ist geradezu absurd.

Das Grundgesetz weist die Kompetenz in Sachen Außenpolitik allein dem Bund zu. Warum gab es denn nicht wenigstens ein Machtwort des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Olaf Scholz in Richtung der Brandenburger SPD-Zentrale?

Das ist eine gute Frage. Denn die Politik der Bundesregierung wird effektiv untergraben, wenn man sich auf die Forderungen des BSW einlässt. Da hätte sofort der Riegel vor gehört. Denn sonst könnte das BSW – weiter nach vorne gedacht – mit noch absurderen Forderungen in die nächsten Koalitionsverhandlungen gehen. Landespolitik soll das Leben der Bürger in den betreffenden Bundesländern verbessern, das fällt aber hinten über, wenn stattdessen in Potsdam, Erfurt und Dresden plötzlich über Weltpolitik diskutiert wird. Zentrale Fragen wie die Westbindung Deutschlands, die sollten für SPD wie CDU überhaupt nicht verhandelbar sein. Dass sie hier auf das BSW zugehen, finde ich entsetzlich.

(Quelle: privat)

Jan Claas Behrends, Jahrgang 1969, lehrt und forscht an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) und am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF). Der Historiker ist Experte für die Geschichte Osteuropas und hat die Gewaltkultur in der sowjetischen und postsowjetischen Gesellschaft von den 1970er-Jahren bis in die Gegenwart in verschiedenen Projekten untersucht. Gerade hat Behrends das Buch „Deutsch-ukrainische Geschichten. Bruchstücke aus einer gemeinsamen Vergangenheit“ mit herausgegeben. Behrends ist Mitglied der SPD.

Olaf Scholz hat im Februar 2022 nach der russischen Vollinvasion der Ukraine die „Zeitenwende“ verkündet. Nun sind bereits die Widerstände in seiner eigenen Partei dagegen groß. Fehlt es dem Kanzler an Durchsetzungskraft?

Das grundsätzliche Bekenntnis zur „Zeitenwende“ steht weiterhin. Aber sie wird nicht konsequent durchgesetzt. Wer Führung bestellt, würde sie von ihm bekommen, hat Scholz einmal gesagt. Nun, davon ist wenig zu bemerken. Ebenso hat Parteichef Lars Klingbeil die „Zeitenwende“ früher vollmundig zu seinem Projekt erklärt: Auch dabei ist herzlich wenig herausgekommen. Insgesamt verkörpern Kanzler und Klingbeil eine Krise politischer Führung in diesem Land.

Bei den Sozialdemokraten gewinnen hingegen eher die Gegner der „Zeitenwende“ und Befürworter von „Verhandlungen“ mit Russland an Einfluss, selbst wenn dieses gar nicht verhandlungsbereit ist.

So ist es. Man sieht es an den schon erwähnten Vorgängen etwa in Brandenburg, aber auch am Beispiel des neuen SPD-Generalsekretärs Matthias Miersch: Er versucht, seinen früheren Chef, Putin-Intimus Gerhard Schröder, zu „normalisieren“ und betreibt seine Rehabilitation in der Partei. Miersch war auch Gast auf der Feier zu Schröders 80. Geburtstag, sein Vorgänger Kevin Kühnert hatte dem Ex-Kanzler hingegen nicht einmal gratuliert.

Matthias Miersch, der wie Schröder dem Parteibezirk Hannover entstammt, wollte eigentlich mit einer „Kommission zur Bewertung der Ost- und Entspannungspolitik der SPD“Aufklärung betreiben. Wie t-online-Recherchen ergaben, verlief die Sache allerdings im Sande.

Eine kritische Aufarbeitung der Russlandpolitik der SPD ist mit so einem Personal wie Matthias Miersch gar nicht möglich. Erst recht nicht, wenn die „Aufarbeiter“ dem SPD-Bezirk Hannover entstammen, der auch als „Moskau-Connection“ bezeichnet wird. Tatsächlich wird es keine kritische Auseinandersetzung mit dem sozialdemokratischen „Russland-Komplex“ geben, solange dessen Akteure über Posten und Einfluss verfügen. Nach dem russischen Überfall im Februar 2022 herrschte zunächst ein Schock in der Partei, es bewegte sich etwas, aber jetzt richtet man sich in den alten Positionen wieder ein. Derweil schwindet die Zahl der kritischen Stimmen in der Partei. Der renommierte Historiker Ernst Piper hat ja kürzlich nach mehr als fünf Jahrzehnten sein SPD-Parteibuch aus Protest gegen die Vorgänge in Brandenburg und die versuchte Reinwaschung Schröders zurückgegeben. Leider ist das verständlich und kein Einzelfall.

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