Gefälschte Nachrichtenseiten mit prorussischen Inhalten fluten das Netz. Und es nimmt kein Ende, weil zu wenig getan wird, sagt eine Expertin im Interview.

Seit dem Frühjahr 2022 spült die russische Desinformationskampagne „Doppelgänger“ mit prorussischen Texten auf täuschend echten Nachbauten großer Medienseiten ins Netz, t-online hatte als erstes Medium darüber berichtet. Nach Enthüllungen durch Medien sowie Sicherheitsfirmen und Untersuchungen von FBI sowie Verfassungsschutz scheint es ruhiger geworden zu sein. Doch aufgegeben haben die Macher nicht.

Das zeigt eine am Dienstag veröffentlichte Analyse von CeMAS, dem gemeinnützigen Center für Monitoring, Analyse und Strategie. Durch Gegenmaßnahmen sind die russischen Versuche aktuell weniger effektiv, in Deutschland Stimmung zu machen. Sie könnten aber effektiver eingedämmt werden. sagt Studienautorin Lea Frühwirth im Interview mit t-online.

t-online: Das Satire-Portal „Der Postillon“ hat gerade einen Text veröffentlicht mit dem Titel „Putin spricht sich für März-Wahltermin aus: ‚Unsere Trollfabriken brauchen etwas Vorlaufzeit'“. Zu schön, um wahr zu sein?

Lea Frühwirth: Das wäre natürlich schön. Aber wir müssen leider mit illegitimen Einflussversuchen wie Desinformationskampagnen rechnen. Die Gelegenheit wird sich Putin kaum entgehen lassen. Vorgezogene Neuwahlen lassen sich einerseits ausschlachten, wenn man auf die Destabilisierung der Gesellschaft zielt. Wahlen sind allgemein vermehrt Anlass solcher Einflussversuche. Viel Vorbereitungszeit braucht es dabei für die Akteure nicht. Wir konnten sehen, dass auch bei unvorhersehbaren Ereignissen schon wenige Tage später passende Beiträge dazu aufgetaucht sind.

Die Desinformation wurde und wird massenweise mit Fake-Accounts verbreitet. Für den Report haben Sie aber vor allem nach verdächtigem Verhalten gesucht?

Um Desinformationskampagnen aufzudecken, sucht man in der riesigen Datenmenge aus Beiträgen nach bestimmten Inhalten – wie dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Neben solchen wiederholten Themenfeldern gibt es aber auch Konstanten im Verhalten, mit denen man nach neuen Aktivitäten suchen kann. CeMAS hat gezeigt, dass das ein erfolgreicher Weg sein kann.

Lea Frühwirth. (Quelle: Stefan Haehnel)

Lea Frühwirth ist Senior Researcherin bei CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie) und Psychologin. Sie befasst sich mit dem Einfluss des digitalen Diskurses auf Gesellschaft und Politik, insbesondere mit den Wirkweisen und Mechanismen manipulativer Inhalte. Bei CeMAS beshcäftigt sie sich mit Desinformation, Propaganda und Verschwörungsideologie. Ihre Co-Autorin für den Report „Fortsetzung folgt: Die prorussische Desinformationskampagne Doppelgänger in Deutschland“ ist Julia Smirnova, die als Senior Researcherin bei CeMAS staatliche Einflusskampagnen und die Verbreitung von Desinformation im Internet untersucht. Unterstützt wurden sie von Anna Meyer, Politikwissenschaftlerin mit Spezialisierung im IT-Bereich.

Die Doppelgänger-Kampagne ist also gar nicht so ausgeklügelt?

Die Selbstüberhöhung als Übergegner, der vermeintlich 4D-Schach spielt, gehört zur Selbstdarstellung Russlands dazu. Wer einen Kontrahenten als übermächtig empfindet, wird Gegenmaßnahmen möglicherweise für nutzlos halten und sich fügen. Da sollte man nicht vorauseilend mitspielen. Die Kampagnen mögen wandelbar sein, doch sie erscheinen auch immer wieder unsauber in ihrer Ausführung. Sie nutzen etwa auf X schon länger ein bestimmtes Postingmuster, das für die Plattform ansonsten untypisch ist. Man sieht sofort, dass etwas nicht stimmen kann und kann so neue Beiträge aufdecken.

Typischerweise sind das Beiträge mit wenigen Textzeilen, einem Link und einem Bild. Diese Postings kommen von kleinen Accounts und erreichen wenige Likes, aber im Vergleich dazu unverhältnismäßig hohe Share-Zahlen. Es ist auf X sehr unwahrscheinlich und paradox, dass ein Beitrag 1300 mal weitergeleitet wird, aber nur 3 Likes erhält. Da sich dieses Muster als sehr trennscharf herausgestellt hat, lassen sich so Doppelgänger-Inhalte auf X identifizieren – unabhängig von Themen, Schlagwörtern, Accounts oder sogar Sprachen. Das erweitert das Sichtfeld enorm.

"Auf die Straße gehen": Russische Bots versuchen mit der Doppelgänger-Kampagne, Unmut anzuheizen. Sie läuft seit Frühjahr 2022 und geht weiter, wie ein CeMAS-Report zeigt.
„Auf die Straße gehen“: Dieses Posting vom 8. November zeigt beispielhaft, dass Bots der „Doppelgänger“-Kampagne weiter aktiv sind, um Stimmung zu machen und Unmut anzuheizen. (Quelle: Screenshot X)

Damit geben Sie denen jetzt vielleicht einen Hinweis …

Eindämmung von Desinformationskampagnen bleibt ein Katz-und-Maus-Spiel. Hier stellt sich eine Abwägungsfrage: Berichten wir darüber? Wenn ja, wie? Bringt das die Eindämmung weiter oder eher die Kampagne selbst? Die Veröffentlichung neuer Instrumente und Rechercheansätze trägt schließlich auch dazu bei, dass andere Forschende diese aufgreifen und ebenfalls nutzen können.

Inzwischen ist auch viel über Strukturen und Arbeitsweise der „Doppelgänger“-Kampagne bekannt.

Dieses Jahr hat sich einiges getan. Veröffentlichungen des Recherchenetzwerks Correctiv und der IT-Forensikexperten bei Qurium haben verdeutlicht, was zur Eindämmung möglich ist, wenn man proaktiv nachforscht. Das geht in die richtige Richtung und sollte noch weiter vertieft werden.

Durch diese Veröffentlichungen wurden technische Dienstleister auch in Deutschland offen gelegt.

Die bisherigen Maßnahmen betreffen vor allem die Domain-Infrastruktur. Eingebundene Unternehmen sperren nach Kontaktaufnahme mitunter Zugänge, Doppelgänger-Seiten sind so über die Links nicht mehr erreichbar.

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