Wie viele SPD-Politiker verweigern dem Kanzler beim „Sicherheitspaket“ die Gefolgschaft? Die interne Kritik an den Reformen reißt nicht ab, obwohl der Druck auf die Abgeordneten wächst.

Das sogenannte Sicherheitspaket der Bundesregierung löst in den Reihen der eigenen Ampelkoalition weiter erheblichen Widerstand aus. In der SPD-Fraktionssitzung am Dienstag schaltete sich Kanzler Olaf Scholz persönlich in die Debatte ein. „Das Gesetz braucht eine eigene Mehrheit, sonst muss ich von meinen Möglichkeiten Gebrauch machen“, sagte er Teilnehmern zufolge, wie der „Spiegel“ und t-online zuerst berichteten.

Mancher SPD-Abgeordnete wertete das als indirekte Drohung des Kanzlers, im Zweifel die Vertrauensfrage zu stellen. SPD-Funktionäre widersprechen diesem Eindruck nun zwar. Mehr als eine sanfte Bitte ist das Kanzlerwort aber eben schon.

Das liegt wohl auch daran, dass die Kritik bei manchem in der SPD grundsätzlich ist – und seit Wochen nicht verstummt. Auch jetzt nicht, obwohl der Druck auf die Abgeordneten vor der Abstimmung am Freitag groß ist.

Annika Klose, 32 Jahre, ist eine der wenigen in der SPD-Bundestagsfraktion, die ihre Kritik im Moment offen formuliert. Die Berliner Politikerin, die früher Landesvorsitzende der Jusos war und nun im Landesvorstand sitzt, ist eine der 35 SPD-Abgeordneten, die schon vor zwei Wochen in einem offenen Brief ihre Kritik am „Sicherheitspaket“ geäußert hatten.

SPD-Politikerin Annika Klose: „Ich sehe das neue Sicherheitspaket mit Sorge.“ (Quelle: IMAGO/M. Popow/imago)

„Sicherheitspolitische Fragen dürfen nicht unzulässig mit Migrationspolitik vermischt werden“, heißt es in dem Schreiben unter anderem. Und: Man wolle sich im Bundestag auch weiterhin gegen einige der geplanten Verschärfungen einsetzen.

Doch auch nachdem die Ampelfraktionen sich Ende vergangener Woche auf einige Änderungen und Entschärfungen am Paket geeinigt haben, ist Klose nicht zufrieden. Am Mittwoch sagte sie t-online, sie verstehe die Angst und Verunsicherung vieler Menschen und das Leid der Angehörigen. Der Schutz der Menschen vor Gewalt, Verbrechen und Terror sei die Grundaufgabe des Staates. „Trotzdem sehe ich das neue Sicherheitspaket mit Sorge.“

Wie die meisten koalitionsinternen Kritiker des „Sicherheitspakets“ stört sich Klose vor allem an den Verschärfungen in der Asylpolitik und den Ausweitungen der Befugnisse für die Sicherheitsbehörden. Dass Flüchtlinge, die in einem anderen EU-Staat registriert sind und den Dublin-Regeln zufolge dort versorgt werden müssten, pauschal die Sozialleistungen gestrichen werden sollen? „Als Sozialdemokratin halte ich das für inakzeptabel.“

Diese Art, „die Ausreise in einen anderen EU-Staat zu erzwingen, widerspricht einem würdigen Umgang mit den betroffenen Menschen“, so Klose. „Ich befürchte, dass die Folge eine zunehmende Verwahrlosung auf der Straße und eine Überlastung der kommunalen Strukturen sein wird.“

Kritisch sieht Klose auch die neuen Befugnisse für Sicherheitsbehörden bei der digitalen Erkennung von Stimmen und Gesichtern, den biometrischen Datenabgleich. Generell soll das dem Bundeskriminalamt und der Bundespolizei nur für die Verfolgung und Verhinderung schwerster Straftaten erlaubt sein.

Sie finde es deshalb „schwer nachvollziehbar, warum das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge diese Möglichkeit jederzeit einsetzen können soll, um Geflüchtete zu identifizieren“, kritisiert Klose. „Ein solcher Eingriff in die Privatsphäre ist sehr intensiv und sollte nur bei besonders schweren Straftaten erlaubt sein.“ Den Einsatz zur Identifizierung von Geflüchteten „halte ich für unverhältnismäßig“.

Schon am Dienstagabend hatte der Chef der Jusos, Philipp Türmer, das „Sicherheitspaket“ kritisiert – und den Kanzler gleich mit. Zur Drohung des Kanzlers in der Fraktionssitzung sagte Türmer dem „Stern“, er hoffe, „dass sich niemand, der gegen das Paket stimmen will, davon einschüchtern lässt“.

Philipp Türmer, Bundesvorsitzender der Jusos, greift den Kanzler an. (Quelle: IMAGO/dts Nachrichtenagentur)

Und: „Dem letzten sozialdemokratischen Bundeskanzler, der mit solchen Mitteln Diskussionen unterdrücken wollte, ist das sehr hart auf die Füße gefallen.“ Eine Anspielung auf Gerhard Schröder, der 2005 die Vertrauensfrage stellte, Neuwahlen auslöste – und von CDU-Kanzlerin Angela Merkel abgelöst wurde.

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