Nach dem zweiten Sieg im zweiten Spiel hat die Nationalmannschaft den Topfavoriten bei der EM etwas voraus. Zwei Routiniers haben ihre Kritiker zum Schweigen gebracht.
Das 5:1 im EM-Eröffnungsspiel gegen Schottland war schwer einzuordnen, weil die deutsche Nationalmannschaft dabei wenig gefordert war. Trotzdem war es wichtig, so ins Turnier zu starten. Denn mit Ungarn kam im zweiten Spiel nun ein schwieriger Gegner auf uns zu, gegen den wir uns in der Vergangenheit sehr schwergetan haben. Nach dem 2:0-Erfolg stehen unterm Strich jetzt zwei Siege und ein Torverhältnis von 7:1 für die deutsche Elf. Das kann sich sehen lassen und das haben auch die anderen Mannschaften registriert.
Deutschland hat mit diesem Topstart Euphorie entfacht. Das spürt man. Gegen Ungarn haben sie wieder vieles richtig gemacht. Auch in dieser Partie hatten sie die Spielkontrolle. Besonders wichtig war es, die auch in der zweiten Halbzeit und auch nach dem 2:0 nicht abzugeben. Die deutsche Elf hat da weiter nach vorne gespielt und nicht – wie in der Vergangenheit häufig – nur noch in der Defensive verwaltet.
Bundestrainer Julian Nagelsmann hat da auch mit seinen Auswechslungen ein wichtiges Zeichen gesetzt und eben keinen offensiven Spieler rausgenommen und durch einen defensiven ersetzt. Stattdessen hat er mit Leroy Sané, Deniz Undav, Niclas Füllkrug und Chris Führich vier Offensivspieler reingebracht. Er wollte weiter nach vorne auf das dritte Tor spielen. In der Vergangenheit wäre vielleicht eher die Defensive gestärkt worden – auch, weil die Stabilität damals noch nicht so da war.
Deutschland hat das beste Gesicht abgegeben
Der erste Schlüssel zum momentanen Erfolg war sicher das Eröffnungsspiel, auf das alle geschaut haben. Man wusste nicht: Wie kommen die Deutschen da rein? Wo stehen sie? Da war schon Druck drauf und das musst du dann erst mal mit 5:1 gewinnen. Wenn man auf den ersten Spieltag schaut, dann haben wir da bislang das beste Gesicht abgegeben. Mit Frankreich und England haben sich die beiden Topfavoriten dagegen schwergetan und nicht geglänzt. Da haben wir uns schon ein bisschen davon abgehoben, auch wenn Schottland kein ernsthafter Gegner war.
Ungarn war das dagegen schon. Und auch da haben wir jetzt gleich nachgelegt. In dem Spiel hat man aber gesehen: Wenn Druck vom Gegner kommt und eine Mannschaft im Umschaltspiel sowie technisch gut ist, kann uns das in Bedrängnis bringen. Es gab schon zwei, drei heikle Szenen zu überstehen, in denen wir nicht 100 Prozent sattelfest waren. Daran gilt es zu arbeiten.
Stefan Effenberg (55) stammt aus Hamburg. Der Mittelfeldspieler gelangte über Borussia Mönchengladbach und die Münchner Bayern auch in die Nationalmannschaft, für die er 35 Länderspiele absolvierte. Mit Gladbach holte er den bis heute letzten Titel im DFB-Pokal 1995. Mit dem FC Bayern München gewann er 2001 als Kapitän die Champions League, darüber hinaus drei Deutsche Meisterschaften und zweimal den Pokal. In Florenz und Katar sammelte er Auslandserfahrungen. Nach dem Ende seiner Spielerkarriere machte der „Tiger“ in Paderborn als Trainer und in Krefeld als Manager Station. Vor allem aber ist er als meinungsstarker Fußball-TV-Experte und regelmäßiger Kolumnist von t-online bekannt.
Zu den Topfavoriten zähle ich die deutsche Mannschaft nach wie vor nicht. Man darf auch nicht von einem Extrem ins andere kommen. Wir haben Chancen auf den Titel, die will ich aber nicht mit einer Prozentzahl beziffern. Man muss jetzt schauen, wie England und Frankreich ihr zweites Spiel bestreiten. Das Wichtigste war für beide, dass sie ihr Auftaktmatch jeweils gewonnen haben, wenn auch ohne Glanz und Gloria. Da hätten viele sicher mehr erwartet, beide können und werden sich aber noch steigern.
Für die deutsche Mannschaft ist es vielleicht ganz gut, ein bisschen in ihrer aktuellen Rolle zu bleiben. Ich sehe sie hinter England und Frankreich als Mitfavoriten – gemeinsam mit Portugal und Spanien oder vielleicht noch Italien.
Jamal Musiala ist für mich bislang der bestimmende Spieler des Turniers. Für solche Spieler ist es wichtig, dass der Trainer ihnen ihr absolutes Vertrauen ausspricht. Nagelsmann hat von Anfang an klar gesagt, dass Musiala und Wirtz bei ihm gesetzt sind. Das tut den Jungs gut und das haben sie auch im Hinterkopf, wenn sie mal ins Eins-gegen-eins und im Dribbling ins Risiko gehen.
Bei Musiala sieht man, dass er sehr gut in Form ist und seine Position gefunden hat. Er hat aber auch perfekte Partner in der Mannschaft, die ihn so glänzen lassen: Auch mit Joshua Kimmich und Maximilian Mittelstädt außen sowie Robert Andrich, Toni Kroos und İlkay Gündoğan im Zentrum, die ihm in seinem Rücken Sicherheit geben und perfekt in Szene setzen.