Die Ampel steht vor einer Woche der Entscheidungen. Im Kanzleramt finden deshalb eine Reihe von Krisengesprächen statt. Am Mittwoch könnte alles vorbei sein.
Als Christian Lindner Sonntagabend am Kanzleramt vorfährt, sind die Temperaturen nicht nur vor den großen Glasschiebetüren deutlich heruntergekühlt. Weit dahinter im Besprechungszimmer, in dem der Finanzminister wenige Minuten später auf den Kanzler trifft, ist die Stimmung ebenso eisig. Das Gespräch war, wie t-online aus informierten Kreisen erfuhr, seit Längerem geplant. Eigentlich sollte es um den Haushalt gehen. Es wäre also wohl ohnehin ungemütlich geworden. Und jetzt, nachdem Lindner in der vergangenen Woche ein Wirtschaftspapier zur Bedingung für den Fortbestand der Koalition gemacht hat, umso mehr.
Nur wenige Stunden zuvor hatte Olaf Scholz deshalb seine SPD-Spitzen zum Krisentreffen im Kanzleramt empfangen, um die bevorstehende Woche durchzusprechen. Knapp zwei Stunden redete Scholz mit den beiden Parteivorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil, Generalsekretär Matthias Miersch und Fraktionschef Rolf Mützenich. Um 20 Uhr, kurz bevor Lindner das Kanzleramt betrat, waren sie wieder weg. Auch bei den Sozialdemokraten ist man sich einig: So wie bisher kann es nicht weitergehen. Klingbeil sprach am Sonntagnachmittag im Bericht aus Berlin sogar von einer „Woche der Entscheidungen“.
Ab Montag sollen eine Reihe von Krisengesprächen stattfinden, in die auch der Vizekanzler und Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck involviert ist. Könnte am Ende tatsächlich das Ampel-Aus bevorstehen? Oder raufen sich SPD, Grüne und FDP doch noch einmal zusammen? Ein Blick in den Innenraum der Koalition.
Seit Wochen attackieren sich SPD, Grüne und FDP gegenseitig, was das Zeug hält. Erst macht der Kanzler einen Industriegipfel, ohne seinen Wirtschafts- oder Finanzminister einzubinden. Dann schreibt Habeck im Alleingang eine Agenda für die Wirtschaft. Und weil er das nicht auf sich sitzen lassen kann, veranstaltet auch Finanzminister Lindner einen eigenen Gipfel parallel zu dem des Kanzlers. Kurz glaubt man, die finale Eskalationsstufe sei damit erreicht. Bis Lindner die Debatte am vergangenen Freitag noch einmal verschärft.
In einem 18-seitigen Papier, das t-online vorliegt, macht Lindner eine Reihe von Vorstößen zur „Wirtschaftswende mit einer teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen“, um „Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden“. Zwar sollen weder die FDP-Fraktion noch das Präsidium eingeweiht gewesen sein. Trotzdem werden sofort Erinnerungen wach: Mit einem Wirtschaftspapier hatte die FDP schon einmal 1982 eine Koalition verlassen. Es ging als das „Lambsdorff“-Papier in die Geschichte ein. War das Lindners Absicht?
Jein. Am Sonntagabend ließ der Finanzminister die Frage, ob es sich bei seinem Papier um ein Ultimatum handele, erst einmal offen. Stattdessen sagte er in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“: „Meine Vorschläge liegen auf dem Tisch. Jetzt sollen andere doch auch mal sagen, wie sie unser Land aus dieser Wachstumsschwäche herausführen.“ Das klang zumindest nach ein bisschen Kompromissbereitschaft. Wie sehr, das wird sich in dieser Woche noch zeigen.
Bereits am Montagmittag findet ein erstes Krisengespräch zwischen Scholz, Habeck und Lindner im Kanzleramt statt. Wie t-online aus Ampelkreisen erfuhr, sind Dienstag und Mittwoch zwei weitere Treffen geplant. Am Mittwochabend tagt schließlich der Koalitionsausschuss. Bis dahin will man sich zumindest grob einig sein. Denn dass es in der großen Runde leichter wird, glaubt keiner.
Nun mag dem Kanzler daran gelegen sein, die FDP zu befrieden, um seine Ampel zu retten. Allerdings denken sich sowohl Grüne als auch weite Teile der SPD: nicht um jeden Preis. Und dann ist da noch eine andere Sache.
Tatsächlich könnte es trotz öffentlich ausgetragenen Streits einige Punkte geben, in denen die Ampel sich einigt. So sagte SPD-Chef Lars Klingbeil am Sonntag zu Lindners Forderung nach mehr Bürokratieabbau, dass er „jederzeit bereit sei“, darüber zu sprechen. Auch bei der Frage, wie man private und öffentliche Investitionen ankurbelt, insbesondere in den Bereichen Sicherheit, Digitalisierung und Bildung, zeigte sich Klingbeil gesprächsbereit gegenüber Lindner.