In den Lungen von vier Toten war kein Wasser. Doch wie starben die Insassen der „Bayesian“?

Vier der sieben Todesopfer auf der Mitte August vor Sizilien gesunkenen Luxusyacht „Bayesian“ sind ersten Obduktionsergebnissen zufolge nicht ertrunken. Die Leichen hätten kein Wasser in den Lungen, in den Luftröhren und Mägen gehabt, berichtete die Zeitung „La Repubblica“. Auch wenn Gewebeuntersuchungen noch ausstehen, bedeute dies, dass sie wohl noch eine Weile in Luftblasen überlebt hätten, bevor sie durch einen Krampf der Luftröhre starben.

Die Rede ist vom „trockenen“ bzw. „atypischen Ertrinken“. Aber: Was bedeutet das genau? Der Kriminalbiologe Mark Benecke gibt Antworten.

t-online: Was passiert in einem solchen Fall mit dem Körper?

Mark Benecke: Die Menschen ersticken. Sie verbrauchen den Sauerstoff in der Luftblase. Irgendwann ist es zu wenig Sauerstoff für menschliches Atmen und Leben.

Ist man dabei bei Bewusstsein?

Wenn die Menschen nicht aus anderen Gründen, etwa einem Schlag auf den Kopf oder Ähnlichem, ohnmächtig geworden sind, dann sind sie zunächst bei Bewusstsein. Sie würden andernfalls, also ohnmächtig, auch leicht untergehen, da sie sich in der Ohnmacht nirgendwo festhalten oder den Kopf in der Luftblase halten können.

Video | Überwachungskamera filmt den Moment des Sinkens

Quelle: t-online

Durch Zufall könnten natürlich auch durch einen Schlag bereits ohnmächtig gewordene Menschen in einer Höhlung des Bootes mit einer Luftblase liegen. Das ist aber wirklich sehr selten.

Was bedeutet das für den Todeskampf?

Wenn wenig Sauerstoff in der Luft ist, werden Menschen müde und „schlafen ein“. Nach einem Boots-Untergang bemerken sie das aber natürlich und wissen, dass dies nicht an abendlicher Müdigkeit liegt, sondern am mangelnden Sauerstoff. Sie wissen also, dass es dem Ende zugeht, wenn nicht sofort Hilfe eintreffen sollte.

Manche Menschen sind in einer solchen Lage aufgeregt und verbrauchen durch Schreien, schnelles Atmen, Rettungs-Versuche oder Ähnliches noch mehr Sauerstoff. Sie können auch besonnen sein und mit Absicht flach und wenig atmen, weil sie auf Rettung hoffen und die Überlebenszeit und den Sauerstoff-Vorrat daher unbedingt verlängern beziehungsweise weniger schnell verbrauchen wollen.

Geborgene Leichen aus dem gesunkenen Schiff werden an Land gebracht. (Quelle: IMAGO/alessandro fucarini/imago)

Wie lange kann man unter Wasser in einer Luftblase überleben?

Das ist wie in Lawinen oder bei Verschüttungen in Höhlen oder Gräben: Es hängt von der Menge des Sauerstoffes, also der Größe der Luftblase und der Panik oder dem ruhigen Verhalten ab. Anders als im Schnee, wo je nach Dicke und Zusammensetzung der Schicht noch ein wenig Sauerstoff „nachfließen“ kann, ist das in Blasen unter Wasser nicht nennenswert möglich. Zum Glück kann das ausgeatmete Kohlenstoffdioxid aber von Wasser, je nach Lage und Art der Blase, teils aufgenommen werden.

Mark Benecke (Quelle: Claus Pütz)

Dr. Mark Benecke ist Deutschlands einziger öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständige für biologische Spuren und seit mehr als 20 Jahren international auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forensik aktiv.

Es kommt auch darauf an, ob die Personen zusätzlich verletzt sind, also beispielsweise bluten, Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorlagen, sie Alkohol getrunken hatten oder Ähnliches und dadurch zusätzlich geschwächt sind. Grundsätzlich kann eine einzelne Person in einem kleineren Raum einer gekenterten Yacht, der noch vollständig mit Luft gefüllt ist, zwei Tage atmen. Allerdings bewirken beispielsweise Panik oder Unterkühlung, dass sich diese gleichsam technische Überlebenszeit verkürzt.

Auf See erfahrende Menschen werden sich vielleicht ruhiger verhalten als „Landratten“, die als auf dem Wasser unerfahrene Gäste einen Ausflug machen wollten und leichter panisch werden.

Mehrere Taucher im Einsatz: Sie versuchten, die Vermissten aus der Wrack der Superyacht „Bayesian“ zu retten. (Quelle: Italian Coast Guard/ap)

Wenn in dieser Blase langsam der Sauerstoffgehalt sinkt und der CO2-Gehalt steigt, was passiert dann?

Share.
Exit mobile version