Obwohl die Atemwegsinfektion RSV als Bedrohung für Babys bekannt ist, ist sie auch für Ältere ein erhebliches Risiko. Das unterstreichen neue Erkenntnisse.
Das Respiratorische Synzytial-Virus, kurz RSV, ist schon seit Langem weltweit verbreitet. Der Erreger löst Atemwegserkrankungen mit Schnupfen und Husten aus – ist also ein klassisches Erkältungsvirus. Wie bedrohlich es jedoch sein kann, wurde erst vor Kurzem richtig klar.
Prinzipiell kann sich – anders als häufig gedacht – jeder mit dem Virus anstecken. Eine Infektion kann sogar während des gesamten Lebens wiederholt auftreten. Die Verbreitung geschieht häufig innerhalb von Haushalten, beispielsweise zwischen (Groß-)Eltern, Säuglingen und Kleinkindern durch eine Tröpfcheninfektion.
Ist eine Person erkrankt und niest oder hustet, können die Viren über die Luft weitergetragen werden. Aber auch über eine Schmierinfektion kann sich RSV verbreiten, zum Beispiel über kontaminierte Oberflächen, die ein Erkrankter mit seinen Händen berührt hat.
Säuglinge und Kleinkinder können bei einer Erstinfektion besonders schwer an RSV erkranken. Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat deshalb eine neue Impfempfehlung herausgegeben. Bei den Jüngsten treten vor allem schnelles, angestrengtes Atmen, Kraftlosigkeit und Trinkschwäche als Symptome auf.
Aber auch ältere Kinder und Erwachsene, vor allem solche mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Lungenkrankheiten, und immungeschwächte Personen jedes Alters haben ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf.
Neben Grippe, Corona und Erkältungen zählte auch RSV in der Wintersaison 2023/2024 in Deutschland zu den bedeutendsten Verursachern von Atemwegsinfektionen und verursachte hohe Erkrankungszahlen: Das Robert Koch-Institut meldete 54.000 RSV-Fälle, von denen fast 17.000 stationär im Krankenhaus behandelt wurden. Für das Jahr 2019 wird von mehr als 2.500 RSV-bedingten Todesfällen bei Erwachsenen ab 60 Jahren in Deutschland ausgegangen.
Experten gehen sogar davon aus, dass RSV für Ältere ein noch höheres Gesundheitsrisiko darstellt als beispielsweise die Grippe (Influenza). Das RS-Virus habe als Gefahr für ältere Menschen bisher zu wenig Beachtung gefunden, so der Infektiologe Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie an der München Klinik Schwabing.
„RSV ist aus meiner Sicht eine völlig unterschätzte Atemwegserkrankung nicht nur für Kleinkinder, sondern auch für ältere Erwachsene.“ Wendtner bewertet das Virus als „mindestens so gefährlich wie Influenza“. Zudem sei es sehr infektiös – ähnlich ansteckend wie die Omikron-Variante des Coronavirus und deutlich ansteckender als das Grippevirus.
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Auch eine aktuelle US-Studie unterstreicht, wie folgenreich eine RSV-Infektion bei Senioren sein kann. Demnach litt fast ein Viertel der Teilnehmer zusätzlich zu RSV an Herz-Komplikationen.
Ausgewertet wurde der Krankheitsverlauf von mehr als 6.000 Menschen im Alter von über 50 Jahren, die in den Jahren 2014/2015, 2017/2018 oder 2022/2023 eine per Laboruntersuchung bestätigte RSV-Infektion hatten. Knapp 60 Prozent der Betroffenen waren Frauen.
Die Untersuchung ergab eine höhere Komplikationsrate wegen akuter Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei RSV-Fällen, die in der Klinik behandelt werden mussten, als bei Grippe und Covid. Laut Studie entwickelte fast jeder vierte Patient eine solche Erkrankung zusätzlich zu der Infektion:
- Bei 15,8 Prozent war das zum Beispiel eine Herzschwäche.
- 7,5 Prozent entwickelten eine ischämische Herzkrankheit (Angina pectoris, Herzinfarkt).
- 1,3 Prozent rutschten in eine Bluthochdruck-Krise.
- 18,6 Prozent der wegen RSV ins Krankenhaus aufgenommenen Patienten mussten intensivmedizinisch versorgt werden.
- Die Sterblichkeit betrug 4,9 Prozent.
Die Studienautoren verglichen diese Werte mit den Komplikationen nach einer Influenza und nach einer Covid-Erkrankung. Wissenschaftliche Studien zeigten eine Häufigkeit von Herzschwäche bei 5,5 bis 9 Prozent im Zuge einer schweren Influenza mit Krankenhausaufnahme, unter hospitalisierten Corona-Patienten war das laut Studien bei 4 bis 8,5 Prozent der Betroffenen der Fall.
Möglicherweise, so die Forscher, ist für die RSV-Komplikationen eine stärkere Entzündungsreaktion verantwortlich. Warum man das Risiko bisher unterschätzt habe, ließe sich einfach erklären: Senioren mit schweren Atemwegserkrankungen wurden bisher durchgängig auf Influenza und Covid getestet, nicht aber auf RSV. Sicher erkannt wird die Infektion nur durch einen PCR-Test.
In der EU sind seit Sommer 2023 zwei Impfstoffe gegen RSV verfügbar, einer für Schwangere und Menschen ab 60 (Abrysvo) und einer nur für Menschen über 60 (Arexvy). Deren Einsatz empfiehlt die Stiko bislang nicht. Die Experten begründeten dies zum Teil mit bisher unzureichenden Studiendaten.
Doch bisherige Untersuchungen zeigen: Der Schutz vor einem schweren Verlauf liegt bei etwa 95 Prozent und hält bei Älteren für mindestens ein Jahr an – und das mit einer einzigen Impfdosis. Auch vor einer Infektion schützen die verfügbaren Impfstoffe zu etwa 75 Prozent.
Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) sprechen sich deshalb seit Monaten für eine RSV-Impfung bei Älteren aus. Diese gilt für alle Erwachsene im Alter von 60 Jahren und älter, insbesondere für jene mit chronischen Grunderkrankungen und einem hohen Risiko für einen schweren Verlauf einer RSV-Infektion.
Auch ohne offizielle Stiko-Empfehlung können Sie sich gegen RSV impfen lassen. Allerdings ist dies derzeit keine Kassenleistung. Eine Kostenübernahme können Sie aber auch individuell bei Ihrer zuständigen Krankenkasse beantragen. Einige bieten ihren Versicherten schon jetzt eine RSV-Impfung auf freiwilliger Basis an.