50.000 Ärzte zu wenig habe man zuletzt ausgebildet, warnt Karl Lauterbach. Dabei gibt es so viele Ärzte wie nie zuvor. Wie kann das sein?

In Deutschland ergibt sich derzeit ein paradoxes Bild: Noch nie gab es so viele Ärzte hierzulande, auch die Pro-Kopf-Versorgung lag nie höher als zuletzt. Das zeigen Zahlen der Bundesärztekammer. Bei den Patienten gibt es vielerorts dagegen Versorgungsmangel. Teilweise wochen- oder gar monatelange Wartezeit für einen Termin und Aufnahmestopps in vielen Praxen lassen die Deutschen am Gesundheitssystem zweifeln.

Dass dies nicht nur eine subjektive Wahrnehmung ist, die nur für manche Regionen und Praxen gilt, zeigt ein Warnruf aus der Politik. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) warnte am Montag im „Bericht aus Berlin“: „Wir haben 50.000 Ärztinnen und Ärzte in den letzten zehn Jahren nicht ausgebildet. Daher werden uns in den nächsten Jahren flächendeckend die Hausärztinnen und Hausärzte fehlen. Wir werden in eine ganz schwierige Versorgungssituation kommen.“

„Diese Zahlen sind alarmierend“

Den künftigen Mangel „kann man sich noch gar nicht richtig vorstellen“, führte er aus. Denn das Problem werde sich fortführen. Pro Jahr fehlen laut dem Minister 5.000 Studienplätze. Das sind enorme Zahlen, schließlich hat Deutschland insgesamt nur 12.000 Studienplätze für Medizin. Die Anzahl ist zuletzt zwar gestiegen, aber befindet sich noch auf dem Niveau von 1990 – und damit wie zu Zeiten der deutschen Wiedervereinigung. Aber wie passt dieses Bild zur statistisch guten Versorgungslage?

Dass die Lage nicht noch schlimmer aussieht, liege auch an einer kurzfristigen Lösung der Probleme, berichtet Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Bisherige Lücken seien „im Wesentlichen durch die Akquise ausländischer Ärzte gedeckt worden, von denen viele mittel- bis langfristig aber wieder zurückkehren werden“.

Da sich die 50.000 fehlenden Ausbildungsplätze auf die jüngere Vergangenheit beziehen, wird der große Mangel zudem erst in den kommenden Jahren richtig sichtbar. Eine Studie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung prognostiziert eine Verschlimmerung bis Mitte der 2030er-Jahre. Dann soll das Versorgungsniveau auf weniger als 80 Prozent des heutigen Standes sinken. Bereits 2021 war jeder vierte Arzt älter als 60 Jahre, eine Welle an Ruhestandseintritten steht unmittelbar bevor.

„Diese Zahlen sind alarmierend“, sagt Dr. Markus Beier, Bundesvorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes. Auch veränderte Aufgabenbereiche sorgten seiner Meinung dafür, dass das vorhandene Personal weniger ärztlich behandeln könnte. Zwänge wie „die hohe Bürokratielast und die Folgen des steigenden Kostendrucks, der Investitionen in Praxis wie Personal deutlich erschwert“, würden die Behandlungsmöglichkeiten einschränken und dazu führen, dass sich Ärzte gegen eine eigene Praxis entscheiden.

Ähnlich äußert sich der Virchowbund, der Verband der niedergelassenen Ärzte in Deutschland. Dr. Diana Michl erklärt: „Das Problem war jedoch schon seit etlichen Jahren absehbar und Ärztevertreterinnen und -vertreter haben gewarnt.“ Die Politik unternehme seit Jahren zu wenig, um den großen Belastungen entgegenzusteuern.

Auch die ungleiche Verteilung spielt mit in die Problematik hinein. Sind große Städte oder reichere Regionen oft überversorgt, besteht in strukturell schwächeren Regionen mehr Bedarf.

Doch nicht nur bei den Arztpraxen ist die Lage kritisch, im Krankenhaus ist sie nicht besser. „Einer der Gründe liegt zudem darin, dass trotz eines Anstieges der Köpfe das Arbeitsstundenvolumen nicht im gleichen Maße steigt“, berichtet Hans-Jörg Freese vom Marburger Bund, dem Verband aller angestellten Ärzte in Deutschland. Ganz elementar ist dabei ein sich wandelndes Berufsverständnis. Gerade im Krankenhaus gibt es Arbeitswochen von 60 Stunden, dazu häufige Wochenendschichten.

Das wollen viel Ärzte nicht mehr, sie gehen mit dem allgemeinen Trend, die Arbeitsbelastung zu reduzieren. „Dies bedeutet ein größeres Maß an Work-Life-Balance, als dies in der Vergangenheit der Fall war“, erklärt Samir Rabbat von der Bundesärztekammer.

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