Euronews wirft einen genaueren Blick auf das, was wir bisher über den anhaltenden grenzüberschreitenden ukrainischen Angriff in der russischen Region Kursk wissen, der am Dienstag begann.
In der Vergangenheit haben ukrainische Streitkräfte einige Male auf russisches Territorium eingedrungen. Der letzte Einfall erfolgte im März dieses Jahres, als drei bewaffnete Anti-Kreml-Einheiten von der Ukraine aus in die Regionen Belgorod und Kursk eindrangen, was Berichten zufolge zu Zusammenstößen mit russischen Streitkräften in mehreren Siedlungen führte.
Auf alle diese Einfälle folgten fast unmittelbar unerbittliche Angriffe auf die Regionalhauptstadt Sumy und die gesamte Region.
Doch was am Dienstagmorgen im ruhigen Teil der Grenze begann, entwickelte sich ziemlich schnell zu einer Razzia anderer Art.
Keine Informationen, keine Warnung
Alle Informationen und Einzelheiten zu den aktuellen Kämpfen in der Region Kursk, insbesondere rund um die Stadt Sudzha, stammen fast ausschließlich von offiziellen russischen Quellen und russischen Militär-Bloggern.
Es gab im Vorfeld und in den ersten Stunden der Operation, deren Vorbereitung lange gedauert haben muss, keine Warnungen, Videos, Fotos oder Stellungnahmen aus der Ukraine.
Das einzige Mal, dass ukrainische Beamte die Geschehnisse in der russischen Region Kursk kommentierten, war, als der Beamte des ukrainischen Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates, Andrii Kovalenko, sagte, Russland habe seine Grenze nicht unter Kontrolle.
Das russische Verteidigungsministerium hatte zunächst berichtet, dass etwa 300 ukrainische Soldaten über die Grenze nach Russland eingedrungen seien und sich im Inneren Kämpfe geliefert hätten, unterstützt von Panzern und gepanzerten Kampffahrzeugen sowie Drohnen- und Raketenangriffen.
Moskau erklärte zunächst, die Angriffe seien abgewehrt worden. Der amtierende Gouverneur der Region, Alexej Smirnow, sagte, er habe den russischen Präsidenten Wladimir Putin über die Lage informiert. Diese sei unter Kontrolle, sagte er.
Doch russische Militärblogger berichteten immer wieder, dass ukrainische Streitkräfte mehrere Siedlungen eingenommen und tiefer in russisches Territorium vorgedrungen seien.
Den neuesten Informationen zufolge wurden mehrere frische ukrainische Brigaden in den Angriff auf Kursk einbezogen und in Frontnähe sind bereits Panzerformationen zu sehen.
Welche Kräfte sind beteiligt?
Für frühere Überfälle und Einfälle auf russisches Territorium haben sich vor allem das russische Freiwilligenkorps, die Legion „Freiheit Russlands“ und das Sibirische Bataillon verantwortlich gezeigt, das aus Freiwilligen aus Russland besteht, die auf der Seite der ukrainischen Streitkräfte kämpfen.
Dieses Mal jedoch behauptete Moskau in seiner Erklärung, die ukrainischen Kräfte gehörten der 22. Mechanisierten Brigade der Armee an – und meinte damit, dass es sich nicht um Freiwillige, sondern um erfahrene Soldaten der ukrainischen Streitkräfte handele, die durch einige der schwersten Kämpfe, unter anderem in der Gegend von Bachmut, abgehärtet worden seien.
Die Brigade lehnte einen Kommentar ab, ebenso wie die Freiheitslegion Russlands, der ukrainische Generalstab und das Verteidigungsministerium.
Von russischer Seite wurde dieser Abschnitt der Grenze in der Region Kursk durch Grenzschutzkräfte kontrolliert, denen nicht genügend Soldaten zur Verfügung standen.
Sie wurden dann durch Wehrpflichtige verstärkt. Dabei handelt es sich um junge russische Soldaten im Alter von 18 bis 19 Jahren, die kaum Erfahrung mit dieser Art von Angriffen haben.
Am zweiten Tag des Einfalls zeigten ukrainische Medienberichte, dass sich in der russischen Oblast Kursk Dutzende russische Soldaten der Ukraine ergeben hatten.
Drohnenkrieg entscheidend
Die Operationen der Ukraine über die Grenze werden massiv durch Drohnen und insbesondere durch First-Person-View-Drohnen unterstützt.
Der Einsatz von FPV-Drohnen hat der Ukraine bemerkenswerte taktische und strategische Vorteile gegenüber Russland verschafft.
Russischen Berichten zufolge traf am Dienstag eine ukrainische FPV-Drohne über der Region Kursk einen russischen Mi-28 Havoc-Kampfhubschrauber. Der Mi-28 ist ein Kampfhubschrauber, der dafür konzipiert ist, feindliche Panzerfahrzeuge, Luftziele und Truppen aufzuspüren und zu zerstören.
Das später veröffentlichte Video des mutmaßlichen Angriffs verdeutlicht die umfassendere Strategie der Ukraine, verschiedene Arten von Drohnen einzusetzen, um russische Militäroperationen am Boden, zu Wasser und in der Luft zu stören.
Was ist das Endspiel?
Abgesehen vom Schockeffekt und davon, dass Teile der russischen Truppen dadurch gezwungen würden, ihre Verteidigung durch die Verlegung von Truppen aus anderen Ländern zu verstärken, bleibt der Nutzen ähnlicher Aktionen fraglich.
Hier sind einige der wichtigen Faktoren hinsichtlich der Angriffsachse. Die Sudzha-Achse liegt an einer der wichtigsten Eisenbahnstrecken – der Lgov-Belgorod-Eisenbahn, die nach Belgorod führt, dem wichtigsten Logistikdepot der russischen Task Group North in Charkiw.
Auch wirtschaftlich und energiepolitisch ist das Gebiet von großer Bedeutung. Die Gasumschlag- und Messstationen in Sudzha sind der einzige Einspeisepunkt für russisches Erdgas in das ukrainische Gasfernleitungssystem und von dort aus weiter nach Europa.
Derzeit fließen nach Angaben von Reuters täglich rund 42 Millionen Kubikmeter Gas durch Sudzha. Das gesamte jährliche Transitvolumen beträgt rund 14 Milliarden Kubikmeter.
Zwei russische Militärblogs berichteten, ohne Beweise zu liefern, dass ukrainische Streitkräfte eine Gasmessanlage erobert hätten. Diese Behauptungen konnten nicht unabhängig überprüft werden.