Der HSV hat das wohl schlimmste Szenario der Vereinsgeschichte gerade noch so abgewendet. Dabei lief ausgerechnet im Stadtderby lange alles gegen die Heimelf. Der Sieg könnte jetzt ein Wegweiser für die Zukunft des Klubs sein.

Aus Hamburg berichtet William Laing

Es hätte an diesem Freitagabend schlimm kommen können für den HSV – sehr schlimm. Auf dem Spiel stand im Volkspark, der Hamburger Heimspielstätte, der direkte Aufstieg. Zur Klarstellung: Nicht der eigene, sondern ausgerechnet der des verhassten Stadtrivalen FC St. Pauli, der mit einem Sieg in die Bundesliga zurückgekehrt wäre. Es hätte die größte Schmach der Vereinsgeschichte für die „Rothosen“ werden können. Am Ende kam jedoch alles anders.

Das lag daran, dass der Ball in der 85. Minute endlich im Kasten des FC St. Pauli eingeschlagen war, zum ersten Mal in diesem Spiel nach Meinung von Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck regelkonform. Zuvor hatte der Referee bereits zwei Treffer des HSV aberkannt. Zumindest beim ersten war das eine durchaus zweifelhafte Entscheidung.

Im Volkspark erhitzten sich in diesen Minuten im ersten Durchgang die Gemüter. Torschütze Robert Glatzel fasste sich ob seines angeblichen Fouls an Gegenspieler Manolis Saliakas vor Erzielung des Treffers fassungslos an den Kopf. „Für mich ist das kein Foul“, sagte der 30-Jährige später in der Mixed Zone der Arena und schob nach: „Das ist für mich wirklich Wahnsinn.“

Es war aber auch der Torjäger, der die eigene Fassungslosigkeit fünf Minuten vor Ende der regulären Spielzeit in pure Ekstase verwandelte. Glatzel erlöste mit seinem dieses Mal gültigen Treffer den gesamten Hamburger Sport-Verein – und bescherte dem Klub neben dem Derbysieg (1:0) damit auch Aussichten auf eine rosigere Zukunft, als zuletzt angenommen.

Von unabsteigbar zu unaufsteigbar

Gründe dafür, dass man am Volkspark jüngst eher weniger optimistisch in die Zukunft blickte, hatte die Hamburger Mannschaft in den vergangenen Monaten nämlich zuhauf geliefert. Sportlich lief es überhaupt nicht mehr rund. Punkt um Punkt büßte der HSV in der Rückrunde in der Tabelle ein, verlor beim Tabellenletzten Osnabrück und gegen die direkte Konkurrenz aus Düsseldorf und Kiel. Vor wenigen Wochen stürzte das Team deshalb aus den Aufstiegsrängen.

Klar ist mittlerweile auch: Der HSV wird wohl trotz des Derbysieges ein weiteres Jahr in der 2. Bundesliga verbringen. Zwei Spiele sind in dieser Saison noch zu absolvieren. Vier Punkte liegen die Hamburger hinter dem Tabellendritten Fortuna Düsseldorf. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn die Rheinländer diesen Vorsprung noch verspielen sollten.

Weil Holstein Kiel und der FC St. Pauli aller Voraussicht nach direkt aufsteigen werden und die Fortuna wohl auf Relegationsrang drei eintrudelt, hat der HSV also mal wieder das Nachsehen. Der Verein wird nach dem erstmaligen Abstieg 2018 wohl in seine siebte Saison in Folge in der 2. Bundesliga gehen – und avanciert damit zu allem Überfluss noch zum Urgestein im deutschen Unterhaus. Galt der Klub zu Bundesligazeiten noch als unabsteigbar, hat sich das Blatt mittlerweile also drastisch gewendet. Nun wirkt es fast so, als sei der HSV unaufsteigbar.

Hinter der Zukunft des Klubs stand deshalb auf allen Ebenen ein dickes Fragezeichen. Der langjährige Sportvorstand Jonas Boldt, Trainer Steffen Baumgart und diverse Spieler waren und sind Teil von Spekulationen um die Ausrichtung der Hamburger ab dem kommenden Sommer. Wer geht und wer bleibt, schien bis zum Derby in den Sternen zu stehen.

Baumgarts Ansage: „Lassen Sie mir einfach mal Zeit zum Arbeiten“

Auch jetzt sind diese Fragen noch nicht endgültig beantwortet. Doch der Derbysieg scheint zumindest das Feuer bei allen Beteiligten noch einmal neu oder wahlweise endgültig entfacht zu haben. Vor allem der Wunsch, weiter zusammenzuarbeiten und zur neuen Saison noch einmal oben anzugreifen, schwingt in den Aussagen der Verantwortlichen unterschwellig mit.

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