Virologe

Hendrik Streeck: Der Corona-Doktor will in den Bundestag

Aktualisiert am 27.09.2024 – 06:45 UhrLesedauer: 4 Min.

Im Kottenforst bei Bonn kann Hendrik Streeck in Ruhe telefonieren – und das tut er oft. (Quelle: Thomas Banneyer/dpa/dpa-bilder)

Die Pandemie hat Biografien verändert. Auch die des Virologen Streeck, der nicht immer unumstritten war. Nun hat er ein Buch geschrieben – und kandidiert für den Bundestag. Wie hängt das zusammen?

Wenn Hendrik Streeck mal in Ruhe telefonieren will, dann verlässt er sein Virologisches Institut auf dem Venusberg hoch über Bonn und schlägt sich in den Kottenforst. Das ist ein durchaus ansehnlicher Wald, der sich direkt hinter dem Gelände der Uniklinik ausbreitet. Derzeit hat der prominente Virologe ziemlich viel zu besprechen, denn er plant nichts weniger als den Eintritt in die Bundespolitik. Im einstigen Wahlkreis von Konrad Adenauer in Bonn wird er bei der Bundestagswahl in einem Jahr für die CDU antreten.

Lange war gar nicht bekannt, dass er ein Parteibuch hat. „Als mich Armin Laschet in den Expertenrat berief, habe ich ihm gesagt, dass ich CDU-Mitglied bin“, erzählt er der Deutschen Presse-Agentur. Der einstige NRW-Ministerpräsident habe ihm aber geraten, das nicht öffentlich zu machen. „Das war sehr weise von ihm“, sagt Streeck. „Weil es sonst noch eine weitere Ebene gegeben hätte. So in die Richtung: „CDU-Virologe kritisiert Merkel“.“

Das Ohr der Bundeskanzlerin hatte zur Corona-Zeit eher der Berliner Virologe Christian Drosten, der häufig zu Streecks Gegenspieler stilisiert wurde: Drosten galt in Corona-Fragen als streng, Streeck dagegen als Vertreter einer Laissez-faire-Haltung, so die Überzeichnung. Das brachte ihm heftige Kritik ein, unter anderem von ZDF-Satiriker Jan Böhmermann.

Gerade hat der 47 Jahre alte Mediziner in der Sache nochmal mit einem Buch nachgelegt. Titel: „Nachbeben“. Auch das werde wieder nicht ohne Streit abgehen, vermutet er: „Es wird garantiert jemanden geben, der einzelne Zitate rauspickt und kritisiert. Oder sagt, ich hätte eine bestimmte Studie nicht ausreichend gewürdigt. Da wird es Angriffe geben und sie sind Symptom vom Problem der ganzen Debatte um Corona.“ Er habe auch lange damit gehadert, noch einmal ein Buch über die Pandemie zu schreiben, die viele Bürger längst verdrängt haben. Streeck findet aber, dass es sein muss. „Ich habe zwei, drei Jahre immer wieder für Aufklärung geworben, aber es ist nichts daraus geworden.“

Im Kottenforst biegt Streeck nun an einer Weggabelung ab: „Wenn wir nach links gehen, kommen wir zu den Hirschen.“ So wird es gemacht.

Auch Streeck steht in gewisser Weise an einer Gabelung. Wenn er nächstes Jahr gewählt wird, müsste er seinen Doktorkittel vorübergehend an den Nagel hängen. Viele fragten ihn jetzt, warum er sich das antun will. Seine Antwort: „Aus meiner Sicht ist es schon so, dass dieser Schritt eine logische und emotionale Konsequenz der vergangenen Jahre ist. Eine Konsequenz daraus, dass abweichende Meinungen nicht gehört und die Sorgen und Nöte der Bevölkerung nicht nachvollzogen wurden. Das sehe ich schon als meinen Antrieb, in die Politik zu gehen.“

Man kann das wohl so deuten: Weil er in der Corona-Zeit das Gefühl hatte, nicht gehört zu werden, will er nun selbst an die Hebel.

Ob er das schafft? Seine Prominenz könne im Wahlkampf von Vorteil sein, meint der Parteienforscher Karl-Rudolf Korte: „Für die Wähler lebt der Kandidat von der Projektionsfläche: Wir meinen ihn zu kennen – das hat viele Vorteile auf dem Wählermarkt, zumal er unverbraucht in der politischen Szenerie wirkt, das macht zusätzlich neugierig.“ Ob er sich aber parteiintern durchsetze, sei schwer zu beurteilen. „Da gibt es Neider und Förderer gleichermaßen“, sagt Korte der dpa.

Vor dem Gehege ist Streeck etwas ratlos – von den avisierten Tieren fehlt jede Spur. „Es gibt hier sogar einen weißen Hirsch. Wo ist der?“, fragt der Virologe. Aber nur ein Jogger trabt schnaufend vorbei.

Der Schritt nach Berlin wäre – so er überhaupt gelingt – auch ein Wagnis. Streeck wäre dort – um im Bild zu bleiben – mit seiner Vita ebenfalls eine Art weißer Hirsch, ein Sonderling. Er bestreitet das nicht. Er ahnt, dass er parteiintern natürlich auch kritisch beäugt werden könnte. Schon, weil er nicht die typische Ochsentour durch die Junge Union durchlaufen hat.

Die Leute treten ihm jetzt schon ganz anders gegenüber, ist sein Eindruck. Hemmungen, ihn anzusprechen, sind weggefallen: Er ist jetzt nicht mehr der Herr Professor, sondern der Kandidat, der in den Bundestag will. „Jetzt muss er mit mir ins Gespräch kommen, er braucht ja meine Stimme“ – das sei jetzt die Haltung.

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