Was bedeutet der Fall des Diktators Assad in Syrien? Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour sieht den Iran und Russland geschwächt – und den türkischen Präsidenten Erdoğan in einer wichtigen Rolle.
Am Wochenende veröffentlichte Omid Nouripour auf Instagram ein Foto der Wikipedia-Seite über Baschar al-Assad. Ein „syrischer Politiker, der von 2000 bis 2024 Staatspräsident Syriens war“ heißt es dort nun über Assad. Nouripour schrieb dazu: „Ich hatte noch nie beim Lesen eines Wikipedia-Artikels vor Freude geweint …“
Omid Nouripour hat den brutalen Konflikt in Syrien seit Beginn des Bürgerkriegs 2011 für die Grünen als Außenpolitiker verfolgt. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum der frühere Grünen-Chef jetzt so bewegt ist. Im Interview mit t-online spricht er über Freude trotz großer Unsicherheit, Erdoğans Verantwortung und eine zynische deutsche Debatte.
t-online: Herr Nouripour, Sie haben am Sonntag geschrieben, dass Sie vor Freude weinen mussten, als Assad gestürzt wurde. Was ging Ihnen durch den Kopf?
Omid Nouripour: Dass der Massenmörder Assad jetzt nicht mehr regiert, ist einfach überwältigend. Das liegt auch an der Geschwindigkeit, mit der das passiert ist. Das hat so ja niemand kommen sehen. Ich habe so viel Leid gesehen in diesem Land. Ich habe so viele Freunde gehabt, die nicht mehr leben. Ich musste an Menschen denken, die unendlich gelitten haben. Der Moment war einfach ergreifend für mich. Auch wenn wir natürlich überhaupt nicht wissen, wie es jetzt weitergeht und noch so vieles schiefgehen kann.
Sie mussten selbst als Kind mit ihrer Familie wegen des Kriegs aus dem Iran fliehen. Wird Politik in solchen Momenten noch mal persönlicher als sonst?
Ja, natürlich, da kommen Erinnerungen hoch. Es gibt ja auch regionale Bezüge: Die Tatsache, dass dieselben Leute, die im Iran das eigene Volk knechten, maßgeblich dazu beigetragen haben, dass Assad all diese Verbrechen begehen konnte, war stets unerträglich.
Omid Nouripour, 49 Jahre alt, ist seit 2006 Bundestagsabgeordneter der Grünen mit Schwerpunkt Außenpolitik. Von 2002 bis zum November dieses Jahres war er mit Ricarda Lang Bundesvorsitzender der Partei. Er ist in Teheran geboren und floh mit seiner Familie, als er 13 Jahre alt war, wegen des Golfkriegs nach Deutschland.
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas hat recht schnell gesagt, Assads Sturz zeige, wie schwach der Iran und Russland als seine Unterstützer seien. Sind Sie auch so optimistisch?
Sie hat völlig recht. In der internationalen Konfliktforschung gibt es den Begriff „Power Protection“. Da geht es darum, wie mächtig ein Land wirkt. Russland hat es gerade in Syrien immer wieder geschafft, mit minimalem Einsatz sehr mächtig zu wirken. Diese Wirkung ist komplett zerschellt in dem Augenblick, in dem ein paar Milizen in unglaublicher Geschwindigkeit Assad gestürzt haben, ohne dass die Atommacht Russland irgendwas tun konnte.
Für den Iran gilt das erst recht. Zumal es ja einfach große materielle Verluste für beide Staaten gibt. Für die Iraner ist ihre Brücke zur Versorgung der Hisbollah weggefallen. Für die Russen ist überhaupt nicht klar, wie es weitergeht mit ihrem Militärstützpunkt in Tartus, also die russische Brücke zum östlichen Mittelmeer. Es sind harte Niederlagen für Russland und Iran.
Wie viel Sorgen macht Ihnen, dass mit Abu Mohammed al-Dschulani ein Mann die Aufständischen anführt, der Verbindungen zur Terrormiliz IS und zur Al-Nusra-Front hatte?
Das ist ein großer Grund zur Sorge. Leute wie Dschulani waren die härtesten Dschihadisten, die es gegeben hat. Gleichzeitig hat er es die letzten Wochen geschafft, ein sehr breites Bündnis auch mit säkularen und teilweise glaubwürdig demokratischen Kräften aufzustellen.
Was heißt das für die Zukunft Syriens?
Es gibt überhaupt keinen Grund anzunehmen, dass jetzt von selbst alles besser wird. Aber es gibt auch keinen Grund, automatisch davon auszugehen, dass die Dschihadisten ein Kalifat aufziehen werden können. Das hängt von sehr vielen Faktoren ab, militärisch wie politisch.