Gewalt gegen Politiker nimmt zu – zuletzt traf es Vertreter der Grünen besonders häufig. Wie deren Fraktionsvorsitzender im Nürnberger Stadtrat über die Eskalation denkt.

Ein SPD-Spitzenkandidat, der in Dresden von mutmaßlich Rechtsradikalen krankenhausreif geschlagen wird. Wenige Tage später – in derselben Stadt: Eine Grünen-Politikerin wird angegriffen und als „Grünenschlampe“ beschimpft. In Berlin wird Franziska Giffey von der SPD attackiert. Angriffe gegen Politiker haben sich zuletzt gehäuft.

In Nürnberg ist es bislang zum Glück noch nicht zu solchen Szenen gekommen. Doch die Meldungen aus dem Rest der Republik lassen auch die Kommunalpolitiker in Franken nicht kalt. Bundesweit sind im Jahr 2023 Vertreter der Grünen am häufigsten Opfer von Angriffen gewesen, wie Zahlen des Bundestags belegen. Deren Fraktionsvorsitzender im Nürnberger Stadtrat – Achim Mletzko – macht auch den bayerischen Wahlkampf dafür verantwortlich.

t-online: Herr Mletzko, wie geht es Ihnen als Kommunalpolitiker nach den Meldungen der vergangenen Tage?

Joachim Mletzko: Es ist merkwürdig. Genau genommen beschäftigen mich zwei Gefühle. Das eine ist die Distanz durchs Lesen. Man liest die Meldungen in der Zeitung und denkt im ersten Moment: Das ist weit weg. Gott sei Dank nicht hier vor Ort. Und dann liest man, wen es getroffen hat, und sieht, dass man die Leute teils persönlich kennt. Dann ist man erst einmal ungläubig. Weil man es sich einfach nicht vorstellen kann, vielleicht auch nicht vorstellen will. Mir fehlt das Verständnis, wie man überhaupt auf diesen Wahnsinn kommen kann, Leute, die Plakate aufstellen, persönlich anzugreifen. Das ist mir einfach vollkommen schleierhaft. Natürlich mache ich mir auch Sorgen um unsere Parteimitglieder, die jetzt Wahlplakate aufhängen. Es ist so eine Mischung aus ‚fast nicht glauben können‘ und der Hoffnung, dass das nur ein ganz, ganz kurzer Spuk ist, den die Polizei und die Justiz relativ schnell wieder einfangen können.

Joachim Mletzko von den Nürnberger Grünen (Archivbild). (Quelle: Sportfoto Zink / AlSch/imago-images-bilder)

Zur Person

Joachim Mletzko ist vor mehr als 40 Jahren bei den Grünen eingetreten. Seit 2008 sitzt er für die Partei im Nürnberger Stadtrat und seit 2010 ist er deren Fraktionsvorsitzende. Nebenbei engagiert Mletzko sich als Vorstand bei dem Verein FC Bayern Kickers Nürnberg. Hauptberuflich hat der Kommunalpolitiker als Jugendreferent bei der Evangelischen Kirche gearbeitet, seit 2022 ist er im Ruhestand.

Im Wahlkampf sind viele Ehrenamtliche unterwegs – auch in Nürnberg. Haben Sie mit Ihren Parteikollegen schon über die Angriffe gesprochen?

Den Wahlkampf organisiert die Partei, das berührt uns als Stadtratsfraktion rein technisch mittelbar. Aber ich weiß, dass unser Parteivorstand alle Menschen, die unterwegs sind, um Plakate aufzustellen, zu allerhöchster Vorsicht und Wachsamkeit aufgerufen hat. Und vor allem gilt: Sobald jemand provozieren oder handgreiflich werden will, sollen unsere Mitglieder das Weite suchen und die Polizei informieren. In Nürnberg ist aber noch nichts passiert, das muss man auch dazusagen. Insofern ist die Kunst wahrscheinlich, vorsichtig zu sein, ohne sich einschüchtern zu lassen.



Die Kunst ist, vorsichtig zu sein, ohne sich einschüchtern zu lassen


Joachim Mletzko – Fraktionsvorsitzender der Grünen im Nürnberger Stadtrat


Sie sitzen selbst seit Jahren im Stadtrat, sind also in Nürnberg auch bekannt. Haben Sie das Gefühl, dass das Klima gegenüber Kommunalpolitikern rauer wird?

Dumm angeredet zu werden, gehört zum Dasein als Politiker. Daran hat sich nichts geändert. Was aber etwas zugenommen hat, ist die Dreistigkeit, mit der manche feststellen, dass man als Kommunalpolitiker zu den Vollidioten gehört und von nichts eine Ahnung hat. Früher haben die Leute uns auch schon Beleidigungen geschickt. Da kam es aber öfter mal vor, dass sie den Absender gefälscht haben, heute schreiben sie mit ihrem vollen Namen. Da nimmt sich niemand mehr zurück. Was wirklich zugenommen hat, ist dieses Absolute. Manche sagen: ‚Im Stadtrat hocken 70 Vollidioten. Und ich, der ich zu Hause an meinem PC sitze, weiß eigentlich alles besser. Und warum erkennt ihr Idioten das nicht?‘ Diese Hybris, die nehme ich schon wahr. Was ich aber auch nicht unterschlagen will: Auf der anderen Seite kommt wirklich auch eine erquickliche Anzahl an E-Mails, in denen Menschen sich lobend und sehr solidarisch äußern. Es gibt also auch eine Gegenbewegung.

Abgesehen von der Gegenbewegung: Gibt es Momente, in denen Sie sich fragen, warum Sie sich das antun mit der Politik?

Wenn man einen Tag mit ganz vielen Terminen hat und jeder schrecklich schön ist, fragt man sich schon manchmal. Warum habe ich mir das angetan? Aber das ist dann eher die fränkische Grundstimmung. Da müsste schon mehr passieren, damit ich mich das ernsthaft frage.



Söder und sein Draufhauen auf uns Grüne haben Leute ermutigt, Grenzen zu überschreiten


JOACHIM MLETZKO – FRAKTIONSVORSITZENDER DER GRÜNEN IM NÜRNBERGER STADTRAT


Die Grünen hat es zuletzt öfter erwischt. In Dresden wurde erst vor einigen Tagen eine Spitzenkandidatin der Grünen für den dortigen Stadtrat attackiert. Aber auch Ihren Spitzenpolitikern schlägt immer wieder Hass entgegen. Wie erklären Sie sich das?

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