Nach mehreren Jahren in den roten Zahlen werden die Krankenkassen in diesem Jahr Überschüsse erwirtschaften. Das hilft allerdings kaum.
Die Lage für die deutschen Krankenkassen spitzt sich zu: Nach mehreren Jahren der roten Zahlen sollen in diesem Jahr erstmals wieder Überschüsse erwirtschaftet werden – aufgrund kräftiger Beitragssteigerungen für die 75 Millionen Mitglieder in Deutschland zu Beginn des Jahres. Am finanziellen Spielraum der Kassen ändert das jedoch wenig. Denn nachdem die Krankenkassen jahrelang ihre Reserven verbraucht haben, liegen diese mittlerweile weit unter dem gesetzlichen Limit. So betonte die Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbands GKV, Doris Pfeiffer, vor Journalisten im brandenburgischen Kremmen: „Die Situation ist bedrohlich.“
Ende 2024 hatten die GKV-Mitglieder lediglich noch Rücklagen von sieben Prozent einer Monatsausgabe in der Hinterhand. Vorgeschrieben sind mindestens 20 Prozent. Zum Vergleich: 2018 lag der Wert noch bei 107,6 Prozent. Doch in der Folge wurde die Obergrenze von der Politik immer weiter heruntergesetzt, die Rücklagen wurden schnell aufgebraucht – und das aufgrund steigender Kosten sogar über die gesetzliche Grenze hinaus.
Der GKV-Spitzenverband bemängelt, dass mit dem Geld der Krankenkassen auch Dinge finanziert wurden, die die Regierung aus dem Haushalt hätte finanzieren müssen – etwa die Beiträge für Bürgergeldempfänger. So klagt der GKV-Vertreter für die Versicherten, Uwe Klemens: „Ein Grund für die schwierige Finanzsituation ist der schamlose Griff der beiden letzten Regierungen in die Kassen der Krankenversicherung.“ Drohende Finanzierungslücken seien „nur mit allerlei Tricks und Kniffen über den Griff in die Rücklagen“ gestopft worden.
Nun benötigen die Krankenkassen Überschüsse, um die Reserven wieder auf ein gesetzliches Mindestmaß aufzufüllen. Allerdings gibt es jetzt schon Zweifel, ob das wie geplant gelingen wird. Denn der Zusatzbeitrag der gesetzlichen Krankenkassen war zum neuen Jahr von durchschnittlich 1,7 auf 2,9 Prozent angehoben worden, in der Erwartung, dass 2,5 Prozent für die Kostendeckung reichen. Nun rechnet Pfeiffer eher mit 2,6 Prozent. Das bedeutet, es bleiben zu wenige Einnahmen, um die Reserven aufzufüllen. Die Folge: Die Krankenkassen müssen erneut die Beiträge anheben.
Bis zum Mai haben bereits acht Krankenkassen ihre Zusatzbeiträge ein weiteres Mal erhöht. Bis zum 1. Juli könnten sechs weitere folgen, sie haben die Erhöhungen bereits beantragt, berichtet Pfeiffer. Den Zusatzbeitrag legt jede Kasse je nach Finanzlage für ihre Versicherten fest. Zum Gesamtbeitrag gehört daneben noch der allgemeine Satz von 14,6 Prozent des Bruttolohns.
Grund für die Nachsteuerungen: Die Kosten steigen weiterhin unkontrolliert an. Bereits im vergangenen Jahr machten 89 der 94 gesetzlichen Krankenkassen Verluste – insgesamt 6,2 Milliarden Euro. Dabei hatten sie schon damals Rekordeinnahmen generiert. Da die Einnahmen jedoch nur um 5,3 Prozent, die Ausgaben aber um 7,3 Prozent stiegen, stehen die Kassen vor einer großen Herausforderung. Am stärksten war der Kostenanstieg in der Pflege wegen der verbesserten sozialen Sicherung von Pflegekräften. Auch die Krankenhausbehandlung wurde deutlich teuer, allerdings nicht wegen eines Anstiegs der Fälle. Vielmehr war im vergangenen Jahr der Anteil der schweren Fälle besonders hoch.
Ein wesentlicher Aspekt bei den steigenden Ausgaben sind die rasant steigenden Kosten bei Arzneimitteln. Denn Arzneimittel sind zwar in Europa nirgendwo so schnell verfügbar wie in Deutschland, allerdings zahlt kein anderes europäisches Land so viel pro Kopf. Seit 2012 stiegen die Ausgaben um 107 Prozent auf 56 Milliarden Euro. Besonders auffällig ist der Anstieg bei neu zugelassenen Arzneimitteln, hier sind es 176 Prozent.
Dabei sei ein Zusatznutzen für die neuen Wirkstoffe oftmals gar nicht eindeutig, berichtet Stefanie Stoff-Ahnis, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Kassenverbands. Bei einem Drittel der neuen Wirkstoffe kann kein Zusatznutzen festgestellt werden. Selbst bei Arzneimitteln, denen ein Zusatznutzen bescheinigt wird, ist dies nicht gesichert.