Wir schreiben das Jahr 1620 – in Europa tobt der Dreißigjährige Krieg. In der Schlacht am Weißen Berg bei Prag siegen die katholischen Habsburger über die protestantischen Stände Böhmens. In den folgenden 100 Jahren flohen viele Gläubige aus diesen Gebieten, die heute zur Tschechischen Republik gehören. Unter ihnen befanden sich zahlreiche Mitglieder der Herrnhuter Brüdergemeine: Diese Gruppe flüchtete Anfang des 18. Jahrhunderts in die Oberlausitz in Sachsen, wo sie die Stadt Herrnhut gründete.
Seit 2024 gehört Herrnhut zum UNESCO-Weltkulturerbe – zusammen mit dem 2015 anerkannten Christiansfeld in Dänemark und ähnlichen Siedlungen in anderen Ländern. Die Brüdergemeinde ist international bekannt für die sogenannten Herrnhuter Sterne, beleuchtete Advents- und Weihnachtssterne mit markantem geometrischem Design.
Die Bewahrung der transnationalen Identität der Religionsgemeinschaft und der Schutz ihres kulturellen Erbes ist ein europaweites Unterfangen. Hier engagiert sich Europa Nostra aktiv. Seit ihrer Gründung im Jahr 1963 engagiert sich die Organisation für die Rettung gefährdeter Denkmäler, Stätten und Landschaften in Europa. „Wir bauen derzeit Partnerschaften mit Siedlungen der Herrnhuter Brüdergemeine in Dänemark und Polen auf“, sagt Uwe Koch, Präsident von Europa Nostra Deutschland. „Außerdem wollen wir mit Tschechien zusammenarbeiten – dem Herkunftsland der Religionsflüchtlinge.“
Das Konzept des gemeinsamen Erbes
Die Organisation ist Europas größtes zivilgesellschaftliches Netzwerk für kulturelles Erbe und hat ihren Sitz in Den Haag. Sie wird von öffentlichen Institutionen, privaten Unternehmen und Einzelpersonen in mehr als 40 Ländern unterstützt. In Partnerschaft mit der Europäischen Kommission würdigt es herausragende Leistungen mit den „Europa Nostra Awards/European Heritage Awards“ in den Kategorien Naturschutz, Forschung, Bildung und bürgerschaftliches Engagement und bringt darüber hinaus Experten und Vertreter aus Politik und Öffentlichkeit bei Veranstaltungen zusammen und Konferenzen.
Der deutsche Zweig von Europa Nostra mit Sitz in Potsdam engagiert sich insbesondere für das Konzept des „Sharing Heritage“, das den Dialog und die gemeinsame Verantwortung für das kulturelle Erbe in den Vordergrund stellt. Allerdings versteht Europa Nostra die Idee des gemeinsamen Erbes nicht als rückwärtsgerichtete Nostalgie: Im Kern zielt der Ansatz darauf ab, die europäische Dimension der Geschichte zugänglich zu machen und sie als Grundlage für das Leben im Hier und Jetzt zu nutzen.
Koch erklärt dies am Beispiel der Lausitz, einer Region, die sich über Teile Deutschlands, Tschechiens und Polens erstreckt und für ihren Steinkohletagebau bekannt ist. „Die Industriekultur der Lausitz ist eng mit den Nachbarregionen beispielsweise in Polen und Tschechien verflochten. Alle drei Gebiete können auf eine rund 150-jährige Geschichte der Energieerzeugung und des Kohlebergbaus zurückblicken. Sie stehen nun vor gewaltigen Transformationsprozessen.“ Diese gemeinsamen Herausforderungen schaffen eine verbindende Basis für den Dialog der Beteiligten – und für eine partnerschaftliche Zukunftsvision.