Deutsche Politiker müssen ehrlicher sein – zur Ukraine und zu den Bundesbürgern. Das forderten fast alle Gäste bei Maybrit Illner.
Kämpft die Ukraine auf verlorenem Posten? Diese Frage hat Maybrit Illner am Donnerstagabend mit ihren Gästen diskutiert. Ein Thema rückte dabei immer wieder in den Fokus: Die Ehrlichkeit der deutschen Regierung hinsichtlich der Unterstützung, die sie zu leisten bereit ist.
Die Gäste
- Michael Roth, (SPD), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages
- Wolfgang Ischinger, ehemaliger deutscher Botschafter in den USA
- Marina Weisband, gebürtige Ukrainerin, Publizistin und Grünen-Politikerin
- Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München
- Nicole Deitelhoff, Professorin für Internationale Beziehungen an der Goethe-Universität Frankfurt am Main
- Schanna Borissowna Nemzowa, Tochter des 2015 ermordeten Politikers Boris Nemzow
Weisband fordert Ehrlichkeit
Zuerst angesprochen hatte diesen Aspekt die gebürtige Ukrainerin, Publizistin Marina Weisband. Sie kritisierte: „Der Westen hat keine wirkliche Strategie“, sondern reagiere lediglich auf Putin.
Das Wichtigste aus ihrer Sicht sei deswegen, dass die Bundesregierung „kommunikative Ehrlichkeit“ an den Tag lege. Bereits im Frühling 2022 habe die Möglichkeit bestanden, dem ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyj zu erklären, dass man „zwar im Herzen“ bei der Ukraine sei, aber nur „bis Putin wütend wird“ und dass man deswegen „ein bisschen auf Distanz“ bleibe. Selenskyj hätte mit diesem Wissen eventuell andere Entscheidungen getroffen, so Weisband.
Roth will mutige Forderungen
Unterstützt wurde ihre Forderung nach offener Kommunikation von SPD-Politiker Michael Roth: „Ich finde, jetzt ist der Zeitpunkt, wo wir uns ehrlich machen müssen und die Ukraine nicht länger vertrösten dürfen“, so der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Es gehe nun darum, die Frage zu beantworten, ob der Westen es wirklich schaffe, dass die Ukraine siegt.
Vor diesem Hintergrund appellierte er an die Politik mit Blick auf Waffenlieferungen, „realistische, mutige, entschlossene Forderungen“ zu stellen. Kampfgerät brauche die Ukraine derzeit am dringendsten, betonte der SPD-Mann.
Expertin warnt vor Folgen eines Russlandsiegs
Weiteren Zuspruch bekam Weisbands Ansinnen nach Ehrlichkeit von Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff. Aus Sicht der Professorin habe Deutschland derzeit zwei Optionen.
Die erste sei es zu erklären, dass man Unterstützung nicht weiter leisten kann oder will. Die Ukraine müsse dann wenigstens nicht weiter auf Hilfen warten und könne Entscheidungen in diesem Wissen treffen. Die zweite sei es, dass Deutschland mit Blick auf die Bedrohungen deutlich sage: „Wir können nicht zulassen, dass das jetzt passiert.“
Von der Bundespolitik wünschte sich Deitelhoff mit Blick auf das, was droht, wenn Russland gewinnt, „endlich mal Ehrlichkeit“ gegenüber der Bevölkerung. „Wenn wir Putin jetzt nicht in der Ukraine aufhalten, werden wir ihn danach direkt an den Nato-Grenzen aufhalten müssen“, fasste die Wissenschaftlerin die Lage zusammen. „Dann haben wir den Bündnisfall.“
Weisband kritisiert Scholz
Zu verhindern, dass Deutschland oder ein anderes Nato-Land in den Krieg mit Russland verwickelt werden, hatte Bundeskanzler Olaf Scholz stets zur Prämisse seiner Entscheidungen über Waffenlieferungen gemacht.
Zuletzt weigerte er sich deswegen auch einer Lieferung von Taurus-Marschflugkörper zuzustimmen. Am Donnerstag bekräftigte Scholz diese Entscheidung erneut. Darüber hinaus erklärte er: „Es wird keine deutschen Soldaten, auch keine Nato-Soldaten auf ukrainischem Grund und Boden geben.“
Scholz‘ Fokus darauf, keine Kriegspartei zu werden, kritisierte Weisband. Bei diesem Anliegen handele es sich um eine völkerrechtliche Formalität, die für den Kreml-Chef jedoch bedeutungslos sei, weil ihm das Völkerrecht egal ist.
„Putin ist schon lange in einem Krieg mit uns und wir wollen uns dem nicht stellen“, so die Politikerin. Es handele sich um einen hybriden Krieg, in dem Russland nicht mit Waffen angreife, sondern beispielsweise durch Hacker oder Spione die innere Sicherheit bedrohe.
Ex-Botschafter fordert Selbstbewusstsein
Diese Einschätzung teilte auch Militärexperte Carlo Masala. „Aus Putins Sicht sind wir schon längst Kriegspartei“, erklärte auch der Professor für Internationale Politik. Dass Deutschland sage, es wolle keine Kriegspartei werden, könne deswegen auch nicht verhindern, dass Putin bei einer Eskalation trotzdem angreifen würde.
Optimistischere Worte kamen am Donnerstagabend vom ehemaligen deutschen Botschafter in den USA, Wolfgang Ischinger. „Ich respektiere sehr die Grundhaltung dieses Bundeskanzlers, Deutschland nicht in einen Krieg mit einer Nuklearmacht hineinziehen zu lassen“, so der Präsident des Stiftungsrats der Münchener Sicherheitskonferenz. Diesen Grundsatz halte er für richtig.