Der neue SPD-Generalsekretär Matthias Miersch setzt gleich zu Beginn neue Akzente. CDU-Chef Friedrich Merz sollte den neuen Gegner genau studieren, aber auch für den Kanzler könnte es ungemütlicher werden.
Manchmal ist die Schnelligkeit des politischen Betriebs fast gespenstisch. Noch am Montag lag die deutsche Sozialdemokratie in einer Art Schockstarre: Ihr talentierter Generalsekretär Kevin Kühnert, gerade 35 Jahre alt, verkündete seinen Rückzug aufgrund einer psychischen Erkrankung. Doch es war kaum Zeit, um über die Erschütterungen und Auswirkungen auf die Kanzlerpartei zu sinnieren, da wurde wenige Stunden später bereits der Nachfolger präsentiert.
Matthias Miersch, bisher Fraktionsvize, war von der plötzlichen Beförderung offensichtlich selbst ein wenig überwältigt. „Vielleicht gibt es so was wie Schicksal im Leben“, sagte der 55-Jährige bei seiner Vorstellung tags darauf im Willy-Brandt-Haus, in einer Mischung aus Demut und Bestimmung, als hätte er sein Leben lang auf dieses Amt gewartet.
Immer wieder schimmerten solche nachdenklichen Zwischentöne in seiner ersten Rede als neuer SPD-General durch. Doch sie standen zugleich im starken Kontrast zu seinem restlichen Auftritt. Der Parteilinke Miersch machte überdeutlich, wo er seine künftige Rolle vorrangig sieht: in der Abteilung Attacke.
Erste Giftpfeile richtete er daher – erwartungsgemäß – vor allem gegen Oppositionschef Friedrich Merz. Aber er sendete auch kaum verhohlene Botschaften an Kanzler Olaf Scholz. „Ich werde nicht bequem und ein einfacher Jasager sein“, so Miersch, eingerahmt von den beiden SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken. Als Generalsekretär werde er auch „politische Diskussionen mit dem Bundeskanzler“ führen. Vielleicht sei er auch deswegen ausgewählt worden, mutmaßte Miersch auf offener Bühne, auf die beiden Parteichefs blickend, und legte damit den Grundstein für künftige Spitzen gegen Scholz.
Dass die SPD angesichts miserabler Umfragewerte den Druck auf den Kanzler erhöht, ist nichts Neues. Auch war der gerade zurückgetretene Kühnert bekanntlich kein Scholz-Fan. Und doch rammt Miersch schon mal Pflöcke ein, erhöht das Tempo, kartiert das Kampfgebiet.
Vor allem schraubt er bereits zu Beginn seiner Amtszeit die Erwartungen hoch – und die von Olaf Scholz herunter. Denn dass sich der Kanzler über einen selbstbewussten und dazu noch kampferfahrenen Generalsekretär freut, der mit ihm „politische Diskussionen führen“ möchte, darf bezweifelt werden.
Immerhin hat Miersch die Demoskopie hinter sich, und die ist eindeutig: In Umfragen verharrt die SPD weiterhin bei 16 Prozent, die Union kommt auf das Doppelte. Nur 18 Prozent der Deutschen sind mit der Arbeit von Scholz zufrieden. Die SPD weiß: Es muss etwas geschehen, und zwar dringend.
Für Scholz wird es also nicht einfacher. Miersch verstärkt den Chor der Spitzengenossen, die vom Kanzler eine Art Metamorphose verlangen: weg vom Moderator unter streitenden Ampelpartnern hin zum Regierungschef mit klarer SPD-Agenda. Die Menschen müssen wissen, dass die Ampel von einem Sozialdemokraten geführt wird, heißt das Credo.
Inhaltlich wird Miersch wohl auf die Themen setzen, die von der SPD in den nächsten Wochen als strategische Gewinnerthemen für den Bundestagswahlkampf identifiziert werden. Es wird viel um die Sicherung von Industriearbeitsplätzen, guter Löhne und des sozialen Zusammenhalts gehen, und damit um die viel beschworene „fleißige Mitte“.
Miersch wird seine Rolle daher nicht vorrangig als Kanzler-Schreck sehen, sondern vor allem als Merz-Schreck. „Merz verkörpert alles, für ich nicht stehe“, sagte Miersch etwa bei mehreren Gelegenheiten diese Woche. Er will damit die Erzählung der „Richtungsentscheidung“ vorantreiben, die die Bundestagswahl aus SPD-Sicht darstellt: Merz werde das Land der sozialen Kälte und der Willkür des Marktes aussetzen, die SPD hingegen sorge für einen starken Staat, der in Zukunft investiert und seine Bürger schützt.