Marysia und Alexander V. flohen vor den Bomben Putins nach Dortmund und kehrten dann in ihre Heimat zurück. Protokoll eines Gesprächs über Flucht, ihre Zeit in Dortmund und das Leben im teils zerstörten Kiew.
Marysia (42) und Alexander V. (40) aus Kiew verfolgten die Nachrichten über Putins Angriff auf die Ukraine unaufhörlich. Einen Tag vor Beginn der Anschläge auf Kiew am 24. Februar 2022 beschlossen die Eltern dreier Kinder, die ukrainische Hauptstadt zu verlassen. Sie stiegen ins Auto und flüchteten mit ihren Kindern, einer Freundin und ihrer Großmutter. Kurz darauf fielen die ersten Bomben. Mittlerweile sind sie in ihre Heimatstadt zurückgekehrt. Die Hoffnung auf ein normales Leben in der Ukraine treibt sie an, manchmal fällt es ihnen jedoch schwer, Licht am Ende des Tunnels zu sehen.
Die ersten Bomben fielen, als sie schon weit außerhalb von Kiew waren. Sie übernachteten in einem Hotel in Winnyzja, die Stadt liegt vier Stunden südlich von Kiew. „Wir wachten um 4 Uhr auf – unsere Telefone begannen zu klingeln – Freunde und Verwandte meldeten sich über verschiedene Kanäle bei uns – der Krieg begann“, erzählt Marysia. „Ich und Alex beschlossen, in den Supermarkt und zur Tankstelle zu gehen, um Lebensmittel und Benzin einzukaufen. Wir dachten, dass diese bald geschlossen sein würden. Wir waren zehn Minuten von dem Hotel entfernt, als ein Militärobjekt der Russen in der Nähe unseres Hotels einschlug. Alex‘ Mutter, die Kinder und unsere Freundin Tania rannten raus. Sie dachten, wenn es noch eine weitere Explosion gäbe, würden die Fenster zerbrechen.“
Die beiden wohnten mit ihren Kindern Emma (7), Julia (11) und Lisa (15) bis zum Überfall des russischen Militärs im Stadtviertel Novosikly in Kiew. Die Kinder gingen zur Schule, Alex und Marysia arbeiteten in einem von ihnen gegründeten IT-Unternehmen. Ihr Plan war es, für ein oder zwei Wochen ein Haus weiter außerhalb von Kiew zu mieten, da sie dachten, dass die Russen Kiew angreifen könnten. Aber sie hatten nicht mit einem so schrecklichen, riesigen Angriff gerechnet.
„Es war alles so ungeplant. Ausgerechnet einen Tag zuvor musste mein Auto kaputtgehen“, erinnert sich Marysia. Also stiegen sie zu siebt in einen Wagen – mit einer Freundin und auch Alex‘ Mutter.
Zunächst wollten sie das Land überhaupt nicht verlassen, nur so weit weg von Kiew, dass sie in Sicherheit waren. Doch als sie in Winnyzja ankamen, wurde ihnen schnell klar, dass sie nicht die Einzigen waren, die diese Idee hatten. „Auf dem ganzen Weg bis in die Westukraine haben wir versucht, ein Haus zu mieten. Die Leute sagten uns, dass man dafür viel Geld im Voraus bezahlen muss. Das war uns einfach zu unsicher“, sagt Marysia. Die Entscheidung war gefallen: Sie wollten nun so schnell wie möglich die Grenze nach Polen überqueren.
Unklar war zu diesem Zeitpunkt, ob Alex das Land würde verlassen dürfen, da das ukrainische Militär sämtliche Kräfte an der Waffe mobilisierte. Doch nach stundenlangem Warten an der Grenze und ersten Abweisungen durfte er ausreisen. „Stündlich gab es neue Informationen zu aktuellen Regelungen. Letztendlich zeigte ich dem Zöllner die Regierungsinformation zur Ausreiseerlaubnis von Familienvätern mit drei Kindern“, so Alex. Der Grenzbeamte winkte ihn durch.
Ein Jahr mit Freude und Schwierigkeiten in Dortmund
Von Dortmund aus meldete sich eine Freundin bei der Familie. Sie riet, Polen zu verlassen und ins Ruhrgebiet zu kommen. Endlich ein bisschen Ruhe. Endlich mal durchatmen nach all den Strapazen.
„Als wir in Deutschland lebten, fühlte ich eine starke Verbundenheit zu meiner Großmutter. Während des Zweiten Weltkriegs wurde meine Oma als Arbeiterin nach Deutschland zwangsumgesiedelt. Wir mussten beide das Land verlassen. Natürlich ist meine Situation anders: Ich habe mein Land mit meinen Kindern und meinem Mann verlassen, weil ich vor dem Krieg geflohen bin, und die Deutschen haben mich beschützt. Dennoch gibt es Ähnlichkeiten. Ich habe auch in einem alten deutschen Haus aus dem 20. Jahrhundert gewohnt. Meine Großmutter wohnte in Essen, ich wohnte in Dortmund – ganz in der Nähe. Endlich verstand ich wirklich, was meine Großmutter empfand, als sie von zu Hause weggebracht wurde. Wenn Sie sich ständig Sorgen um Ihre Angehörigen machen, die in Gefahr sind.“