Henning Höne ist Vorsitzender der FDP in Nordrhein-Westfalen. In seinem Gastbeitrag plädiert er für eine neue Familienpolitik.

Deutschland hat sich über Jahrzehnte ein Sozialsystem geschaffen, das Familien mit direkten Leistungen unterstützt. Für 2025 plant die Bundesregierung mit über 54 Milliarden Euro allein für das Kindergeld. Doch die Welt und die Bedürfnisse von Familien haben sich verändert – und unser Sozialsystem muss dem Wandel angepasst werden. Ich fordere eine mutige Veränderung: Wir müssen das Kindergeld halbieren, um den Bildungserfolg zu verdoppeln.

Eine Hälfte des Kindergelds sollte künftig direkt in den Ausbau und die Qualität unserer Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur fließen. Damit bieten wir nicht nur Unterstützung, sondern schaffen die Bedingungen für wahre Chancengerechtigkeit und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

In Zeiten, in denen Kinder noch hauptsächlich von der Mutter im häuslichen Umfeld betreut wurden, war das Kindergeld eine entscheidende Entlastung für Familien. Heute sieht die Realität jedoch anders aus: Kinderbetreuung ist längst nicht mehr nur Familiensache, sondern auch eine staatliche, gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir ernst nehmen müssen. Und das aus gutem Grund, denn 80 Prozent der Eltern in Deutschland wünschen sich eine verlässliche Betreuungsmöglichkeit für ihre Kinder.

Doch diese Infrastruktur ist längst nicht überall gegeben; die Notbetreuung in Kitas gehört für viele Familien zum Alltag, der Rechtsanspruch für eine Ganztagsbetreuung in Grundschulen steht vielerorts auf tönernen Füßen.

Henning Höne im Düsseldorfer Landtag: „Ich möchte direkte Familienleistungen in indirekte Familienleistungen umschichten.“ (Quelle: IMAGO/Malte Ossowski/SVEN SIMON/imago)

In einem wirtschaftlich starken Land wie Deutschland sollte kein Elternpaar zwischen Beruf und Betreuung wählen müssen. Eine zeitgemäße Familienpolitik muss darauf setzen, dass Eltern – betroffen sind meistens Frauen – ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen und ihre Karriereziele verwirklichen können. Voraussetzung für eine wirklich freie Entscheidung ist eine verlässliche, qualitativ hochwertige Betreuung.

Laut einer Stepstone-Studie sind etwa zwei Drittel aller berufstätigen Eltern bereit, ihre Arbeitszeit aufzustocken, wenn verlässliche Betreuungsangebote vorhanden wären. Diese verpassten Arbeitsstunden entsprechen einem jährlichen Wirtschaftswert von 23 Milliarden Euro – ein enormer Mehrwert, der derzeit ungenutzt bleibt.

Statt das Kindergeld in seiner heutigen Form immer weiter aufzustocken, plädiere ich dafür, die Hälfte der Mittel direkt in den Ausbau der Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur zu investieren. Ich möchte nicht sparen. Ich möchte direkte Familienleistungen in indirekte Familienleistungen umschichten. Ein solches Modell würde für Kitas und den Ganztag in Schulen bundesweit 27 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, mehr als fünf Milliarden Euro in NRW. Eine Summe, die das Potenzial hat, das Bildungssystem unseres Landes zu revolutionieren.

Mit diesen Mitteln können wir konkret folgende Maßnahmen umsetzen:

  • Beitragsfreie Kitas und Offener Ganztag: Jedes Kind soll unabhängig von der finanziellen Situation seiner Familie Zugang zu qualitativ hochwertiger Betreuung und Bildung haben.
  • Flexible Betreuungsmodelle und erweiterte Öffnungszeiten: Ein Betreuungssystem, das sich den Bedürfnissen berufstätiger Eltern anpasst und nicht umgekehrt.
  • Investitionen in Kita- und Ganztagspersonal: Zusätzliche Mittel sollen für mehr Personal, Qualifikation, regelmäßige Weiterbildung und faire Bezahlung bereitgestellt werden, um die Qualität der Betreuung zu sichern. Dies steigert die Motivation der Fachkräfte und fördert die kindliche Entwicklung.
  • Kostenfreies Mittagessen und bessere Bildungsstandards in Schulen: Um sicherzustellen, dass alle Kinder von einem stabilen, förderlichen Umfeld profitieren, in dem Lernen und soziale Entwicklung Hand in Hand gehen.
  • Investitionen in frühkindliche Bildung und individuelle Förderangebote: Frühkindliche Bildung muss als Grundpfeiler der Bildungsstrategie gestärkt werden, um den Grundstein für lebenslanges Lernen und Teilhabe zu legen.

Viele europäische Länder machen es vor: Eine familienfreundliche Politik schafft nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch mehr Lebensqualität. Besonders Skandinavien hat gezeigt, wie effizient eine auf Infrastrukturen ausgerichtete Familienpolitik wirken kann. Auch die deutsche Gesellschaft und der Arbeitsmarkt hätten von einem solchen Modell langfristig enormen Nutzen.

Eine Studie des Ifo-Instituts zeigte schon in der Vergangenheit, dass das Kindergeld nur begrenzte Effekte auf die wirtschaftliche Stabilität von Familien hat. Im Gegensatz dazu könnte eine moderne Betreuungsinfrastruktur die Teilhabe am Arbeitsmarkt und die Chancen von Kindern tatsächlich steigern. Damit schaffen wir eine nachhaltige Unterstützung für Familien und lösen die finanzielle Unterstützung aus der Abhängigkeit vom individuellen Einkommen heraus – zugunsten einer Bildungspolitik, die alle Kinder, unabhängig von ihrer Herkunft, erreicht und fördert. Denn der Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg in Deutschland ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.

Eine gerechte Familienpolitik bedeutet, allen Kindern die bestmöglichen Startchancen zu geben. Dies ist nicht nur ein sozialer, sondern auch ein wirtschaftlicher Faktor. Frauen, die aufgrund mangelnder Betreuungsangebote den Berufswunsch zurückstellen, oder Männer, die ihre Arbeitszeit reduzieren – all das stellt eine ungenutzte Arbeitskraft dar, die unserer Gesellschaft langfristig fehlt. Durch solide Betreuungsangebote bieten wir nicht nur Eltern eine echte Wahlfreiheit, sondern geben unserem Arbeitsmarkt dringend benötigte Fachkräfte zurück.

Wir stehen an einem Punkt, an dem wir uns fragen müssen, wie wir die Zukunft unseres Landes gestalten wollen. Ein Bildungssystem, das stark und gut finanziert ist, bietet Chancengerechtigkeit und sichert unseren Wohlstand. Lassen Sie uns deshalb den Mut aufbringen, unser Kindergeld neu zu denken – zugunsten einer Zukunft, in der alle Familien die gleichen Chancen haben.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten spiegeln die Meinung der Autoren wider und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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