Die USA verfolgen eine Wirtschaftspolitik, die immer mehr dem chinesischen Modell ähnelt. Die EU treibt planlos dazwischen. Ohne umfassende Strategie droht das Bündnis zwischen den Mächten zerrieben zu werden, warnt ein Experte.
Die USA setzen auf Strafzölle, während Europa weiterhin um eine einheitliche Strategie ringt. Gleichzeitig baut China seine globale Dominanz aus.
Max Zenglein, Chefökonom des Berliner China-Thinktanks MERICS, sagt im Gespräch mit t-online, dass der Westen lange Zeit falsche Annahmen über China hatte. Er betont zudem, dass Donald Trump in wirtschaftspolitischen Belangen der kommunistischen Partei nacheifert. Und stellt klar, was Europa tun muss, um nicht zwischen den geopolitischen Fronten zerrieben zu werden.
t-online: Herr Zenglein, die Höhe der Zusatzzölle auf chinesische Produkte liegt inzwischen bei 145 Prozent, China hat mit 125 Prozent gekontert. Wohin führt dieser Handelskrieg, wenn die Zölle immer weiter erhöht werden?
Max Zenglein: Ab einer gewissen Höhe haben Zölle nur noch symbolischen Wert. Wenn sich Produkte durch die Zölle ohnehin aus dem Markt preisen, ist die Höhe irgendwann egal. Die Signalwirkung ist nun weitgehend ausgespielt. Viel interessanter ist, was über die Zölle hinaus passiert: China kauft zum Beispiel keine Boeing-Flugzeuge mehr und setzt Exportkontrollen ein, um zurückzuschlagen. Auch die Finanzmärkte werden strategisch beeinflusst. Die Zölle haben eine Entwicklung angestoßen, aber die eigentliche „Musik“ spielt jetzt in anderen Bereichen.
Inwiefern verhält sich China im globalen Handel unfair?
Viele Hoffnungen, die der Westen beim Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation 2001 hatte, haben sich nicht erfüllt. Vor allem unter Xi Jinping wurde der Markt nicht weiter liberalisiert, sondern staatlich stärker kontrolliert. Die Vorstellung, dass sich China zu einer liberalen Marktwirtschaft wandelt, war naiv. Die Folgen betreffen nicht nur die USA oder Europa. Auch Länder im Globalen Süden wie Thailand, Indonesien oder Brasilien haben auf den Importdruck aus China mit Schutzmaßnahmen reagiert, denn Chinas Dominanz führt zu einem unausgeglichenen Handel.
Max Zenglein ist Chefökonom am Mercator Institute for China Studies (MERICS). Seine Forschungsschwerpunkte sind Chinas makroökonomische Entwicklung, internationale Handelsbeziehungen und Industriepolitik. Zuvor war Zenglein als Wirtschaftsanalyst für die Deutsche Auslandshandelskammer in Shenzhen und Peking tätig. Er hat in Buffalo, Hongkong, Berlin und Kassel studiert und mit einer Promotion abgeschlossen.
Was kann China denn konkret vorgeworfen werden?
Neben den Themen Technologietransfer und Marktbeschränkungen ist entscheidend, dass China ein anderes Wirtschaftssystem verfolgt. Ein Drittel der globalen Wertschöpfung kommt heute aus China, aber gleichzeitig ist die Zahl unprofitabler Industrieunternehmen wieder auf dem Niveau von vor 20 Jahren. Das zeigt: China nimmt geringe Margen in Kauf, um Industriesektoren zu dominieren. Dazu kommen intransparente Marktzugangsbedingungen, wie etwa, was den lokalen Anteil an der Wertschöpfung angeht. Für ausländische Firmen bleibt China oft ein schwer kalkulierbarer Markt.
Hat Trump also mit seiner Kritik am chinesischen Handelsverhalten recht?
Die grundlegende Kritik ist ja noch neu und hat somit auch eine Berechtigung. Das Land verfolgt eine klare Entkopplungsstrategie, will unabhängig vom Westen werden und kontrolliert Kapital-, Daten- und Investitionsflüsse. Gut denkbar, dass Trump genau so etwas bewundert. Trump hätte auch gerne eine Wirtschaft, die sich nach seinen Vorgaben richtet.
Trump eifert also China nach?
Trump würde sicher gerne ein System haben, in dem die Wirtschaft exakt das tut, was er will, mit Handelsbilanzüberschüssen und starker Kontrolle. Insofern ähnelt seine Wunschvorstellung dem chinesischen Modell. Ob das sinnvoll ist, ist eine andere Frage.
Sind Strafzölle ein geeignetes Mittel, um China unter Druck zu setzen?
Nein, Strafzölle sind kein geeignetes Mittel. Und Trumps brachiale Methode ist schon gar nicht zielführend. Seine Zölle treffen auch Länder wie Kambodscha oder Vietnam. Das ist destruktiv. Statt bilateraler Konfrontation bräuchte es eine abgestimmte, multilaterale Strategie, gerade auch mit Ländern des Globalen Südens. Da wäre Zusammenarbeit zielgerichteter als Abstrafung.
Ist der Westen China gegenüber machtlos?
Nein, auch die EU ist China gegenüber nicht machtlos, aber wir müssen realistischer werden. China ist zu mächtig, um es zu dominieren oder sich unseren Wertevorstellungen unterzuordnen. Aber Deutschland und die europäischen Partner können sehr wohl Konsequenzen aufzeigen, etwa bei problematischen Kooperationen in Forschung und Wirtschaft. Billige chinesische Importe schaden den eigenen Industrien der Länder im Globalen Süden. Die EU sollte auf diese zugehen und hier Allianzen schmieden. Dazu braucht es eine differenzierte, strategische Antwort auf Chinas Verhalten.