Das aktuelle Asylsystem funktioniert nicht: Zu diesem Schluss kommt der Ex-Bundespolizist Jan Solwyn. 15 Jahre hat er an der Grenze gearbeitet. Nun zieht er ein düsteres Fazit.
Die Asylpolitik ist ein wesentlicher Streitpunkt in den aktuellen Koalitionsverhandlungen. Friedrich Merz (CDU) hatte im Wahlkampf eine „Asylwende“ angekündigt, in den Gesprächen wollte die SPD viele Forderungen nicht mittragen. Selbst um die im Sondierungspapier geschlossenen Kompromisse gibt es bei der Auslegung Streit.
Zuletzt hat der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), Hans-Eckhard Sommer, das individuelle Asylrecht infrage gestellt: Man müsse sich „aus alten Denkschemata befreien“ und ein grundlegend anderes System für die Geflüchtetenaufnahme in Europa etablieren.
Der ehemalige Bundespolizist Jan Solwyn sieht es ähnlich. Er war rund 15 Jahre an den deutschen und europäischen Außengrenzen im Einsatz und berichtet von einem nicht funktionierenden System und einem Versagen der Politik. Im Interview mit t-online zeigt er wenig Hoffnung auf eine Verbesserung.
t-online: Sie waren fast 15 Jahre lang Bundespolizist, mittlerweile sind Sie es nicht mehr. In Ihrem Buch zeigen Sie sich desillusioniert von der Arbeit. Warum?
Jan Solwyn: Am Anfang war ich noch sehr unbedarft und am Ende konnte ich mit einem reichlichen Erfahrungsschatz sagen: Hier stimmt etwas ganz gewaltig nicht. Das liegt aber nicht an der Behörde. Natürlich könnte auch die Bundespolizei mehr im 21. Jahrhundert ankommen. Trotzdem war das nicht das Problem, sondern die Politik.
Die aktuelle Migrationspolitik in Europa funktioniert nicht. Das habe ich aus verschiedenen Blickwinkeln festgestellt. Es gilt für die deutschen Grenzen ebenso wie für die europäischen Außengrenzen. Das Grundproblem ist, dass die deutschen Grenzen nicht mehr in Deutschland liegen, so paradox das klingt. Die deutschen Grenzen liegen zwischen Polen und Belarus oder zwischen Griechenland und der Türkei.
Sie meinen den Schengenraum, in dem es eigentlich keine Grenzkontrollen mehr geben soll.
Jeder, der diese Grenze einmal überquert hat, kann durch den Schengenraum früher oder später nach Deutschland kommen. Wir können unerlaubte Einreisen nicht nachhaltig verhindern. Als Polizei spürten wir das. Zusätzlich setzen wir uns im Hinterland zu oft mit Straftätern auseinander, die über diesen Weg nach Deutschland gelangt sind. Das treibt den Frust an eine persönliche Grenze.
Wie genau haben Sie die Auswirkungen an der deutschen Grenze gespürt?
Wir hatten lange Zeit keine stationären Grenzkontrollen. Das bedeutet, ich habe im Rahmen der Schleierfahndung punktuell Fahrzeuge oder Personen ausgemacht, die verdächtig waren und dann festgestellt, ob sie die Berechtigung hatten, nach Deutschland zu kommen oder nicht. Mittlerweile haben wir die stationären Grenzkontrollen, die man aber leicht umgehen kann. Und letztlich konnten und können wir ohnehin fast niemanden abweisen.
Angenommen, wir haben eine Person mit gefälschten Papieren festgestellt, dann ist es die Aufgabe der Bundespolizei als Grenzbehörde, diesen Personen die Einreise zu verweigern. Das funktioniert aber nur so lange, bis diese Person ein sogenanntes Schutzersuchen äußert. Den Beamten ist meist sofort klar, dass das bei vielen Menschen abgelehnt wird. Trotzdem dürfen alle erst einmal einreisen.

Jan Solwyn war fast 15 Jahre lang Bundespolizist, bevor er seinen Dienst quittierte. In der Zeit war er an Flughäfen, Bahnhöfen und deutschen Außengrenzen im Einsatz. Außerdem nahm er an Missionen der europäischen Grenzschutzagentur Frontex in Griechenland und Serbien teil. Mittlerweile lebt er in Israel. Seine Erfahrungen schildert er in dem Buch „An der Grenze“ (Heyne Verlag), das Ende März erschienen ist.
Aber im deutschen Rechtsstaat gibt es das Recht auf Asyl und jeder hat das Recht, dass sein Antrag entsprechend geprüft wird. Es ist doch keine Option, das abzuschaffen.
Das ist das große Dilemma, in dem wir stecken. Dass selbst der Chef der Bundesagentur für Migration und Flüchtlinge jüngst einen derart radikalen Kurswechsel forderte, zeigt doch, wie groß das Problem mittlerweile ist.
Bedeutet das, Sie würden sich mehr Kompetenzen für die Bundespolizei wünschen, um falsche Asylgesuche direkt ablehnen zu können?
Das ist die Krux an der Sache. Ich maße mir nicht an, das abschließend zu bewerten. Aber ich kann das Problem offenlegen. Wenn wir der Bundespolizei die Kompetenz geben, vor Ort zu entscheiden, ob das ein Schutzersuchen oder nicht ist, kann das auch zu Problemen führen. Dann könnte der Dienstgruppenleiter oder der Inspektionsleiter nach persönlichem Gusto entscheiden – und die Person hätte keine Möglichkeit, dagegen Widerspruch einzulegen. Das ist rechtsstaatlich schwierig.