Held kommt aus der IT-Branche und hat zwei Firmen, Fancy Nerds und Geroy. Geroy ist die russische Übersetzung von Held. „Wir sind Helden“ steht auf der Internetseite der Firma; russische Telekommunikationsunternehmen werden als Referenzen genannt. Beschäftigen kann man die „Helden“ aber nicht: „Wir bieten nichts an, was Sie kaufen könnten, und Sie können keine unserer Dienstleistungen buchen“, heißt es auf der Seite.

„Stimme aus Russland“ hilft „Neues aus Russland“

In einem Interview erzählt Held, nach den Sanktionen gegen Russland habe er sich 2022 entscheiden müssen – Geschäfte machen in West oder Ost. Er entschied sich für Ost, der Österreicher hat inzwischen auch die russische Staatsbürgerschaft. Im Team der Firma gebe es Autoren und Social-Media-Manager, die Muttersprachler in Deutsch, Englisch und Russisch seien. Seine Techniker hätten „viel Erfahrung mit Telegram-Bots, Programmierung, KI, Apps usw. …“, schreibt er in seinem Telegram-Kanal.

Der heißt „Stimme aus Russland“. Held unterstützt die Telegram-Kanäle der deutschen Bloggerin und Russlandpropagandistin Alina Lipp: „Neues aus Russland“, aber auch diverse weitere Kanäle wie „Politik für Blondinen“ oder „Russländer & Friends“. Und alle leiten Botschaften von Moya Rossiya weiter, um vermeintlich aufzuklären und Hilfe für Russland zu leisten. Oder im Sinne von der Kreml-Erzählung vom verdorbenen Westen Stimmung zu machen.

Held hat aber nicht nur Kontakte zu diesen Kanälen, Held hat auch Werkzeuge. Ein Bot offenbar aus seiner Schmiede beantwortet Fragen auf „Welcome to Russia“ – und hat das auch schon für Moya Rossiya getan. Automatisiert könne der Bot fast jede Frage rund um Russland beantworten, „im Grunde wie ChatGPT“ – gefüttert mit russischen Inhalten aus dem Internet.

Den Bot hätten 140.000 deutschsprachige Menschen für Antworten zu Fragen rund um das Thema Auswanderung genutzt, „manche täglich. Vollkommener Wahnsinn“, erzählt Held in einem Interview im März 2024.

Der eigene Kanal von Moya Rossiya wurde von YouTube gelöscht. Held beklagt sich, es würde „frei erfunden behauptet“, sie seien „Teil von Putins Propagandamaschine“. Tatsächlich bietet Moya Rossiya viel mehr: Kennenlerntreffen in Russland und Gruppen- und Sprachreisen ins Land. Die im Juli 2022 registrierte Internetseite vermittelt Flüge und Hotels – der Programmiercode deutet darauf hin, dass dafür Provisionen fließen.

Thema Einwanderung beim Sankt Petersburger Wirtschaftsforum: Martin Held erzählte auf dem Podium, warum Europäer nach Russland ziehen. (Quelle: Evgeny Fedoskov/Roscongres)

Entstanden sei die Idee für Moya Rossiya in einem Gespräch zwischen ihm, Lipp und einer russischen TV-Journalistin: „Wir kannten alle viele Menschen, die Probleme haben. Denen musste geholfen werden.“ Eingewanderte in Russland taten sich zusammen für Moya Rossiya, rund 15 Personen. Dazu gehören Angestellte seiner Firma, die auch im Impressum angegeben sind. In seinem persönlichen YouTube-Kanal findet sich das offizielle Video von der „Welcome to Russia“-Vorstellung, eine Mitarbeiterin ist Administratorin bei „Welcome to Russia“.

Aus den Daten des Bots und von Telegram-Umfragen schloss Held schon 2023, dass mehr als 30.000 deutschsprachige Nutzer in die Russische Föderation ausreisen wollten. Als Experte auf dem Podium des Sankt Petersburger Weltwirtschaftsforum nennt er im Juni 2023 die Zahl und macht damit in Russland Furore. „Auf der Suche nach der Wahrheit strömen die Europäer massenhaft nach Russland“, titelt eine Zeitung.

Bei Butina hören sich die Zahlen weniger imposant an: Von 2022 bis 2023 seien dem Migrationsdienst zufolge durch Programme 3.553 Menschen aus dem Westen nach Russland gekommen, sagt sie bei der Pressekonferenz im November. In diesem Zeitraum habe es aber Putins Dekret noch nicht gegeben. Und sie betont: „Es ist sehr wichtig, wer zu uns kommt, und nicht, wie viele es sind.“

Zu Held nach Krasnodar, wo er zum Teil lebt und seine Firmen sitzen, kommt 2022 auch eine junge Frau aus dem hessischen Frankfurt und wird bei ihm angestellt. In einem neuen Kanal berichtet sie davon, in Russland mit ihrer Tochter Asyl zu suchen, sie sei vor „Verrückten mit Sexkoffer im Kindergarten“ geflüchtet. Die Frau postet inzwischen nichts mehr.

Was sie anfangs erzählt, bedient aber das Bild, das Außenamtssprecherin Maria Sacharowa in der größten russischen Boulevardzeitung vom Westen zeichnet: Menschen „aus den Nato-Ländern“ kämen vor allem aus Angst um ihre Kinder. Sie behauptet: „Die Legalisierung der Pädophilie ist bereits Realität; sie ist im Westen nicht gesetzlich legalisiert, sondern de facto akzeptiert.“

Darauf zielt Russlands Propaganda ab: Frühsexualisierung, LGBTQ, „Gender-Irrsinn“. Ein früherer Sicherheitsbeauftragter des Eishockeyteams Eisbären Berlin wurde durch russische Medien gereicht mit seiner Geschichte seines Jobverlustes: Er habe den Wahnsinn nicht mitgemacht, eine „Frau mit angeklebtem Schnurrbart“ auf die Männertoilette gehen zu lassen, und habe sich gegen Russophobie gestellt (Lesen Sie hier mehr zu dem Fall).

Die Realität widerspricht den kühnen Zahlenträumen des Auswanderer-Netzwerks: Nach Deutschland zogen viel mehr Menschen mit russischer Staatsangehörigkeit oder dem Geburtsland Russland als in die Gegenrichtung.

(Quelle: ha)

Die Berater: Die russische Vorzeigeregion für Zuwanderung aus dem Westen ist Nischni-Nowgorod. Dort gibt es Berater aus Deutschland. Einer von ihnen gehört Moya Rossiya an: Der aus Potsdam stammende Remo Kirsch kennt Martin Held mindestens seit einer Russlandfahrt der Druschba-Organisation. Diese wurde vom heutigen AfD-Bundestagsabgeordneten Reiner Rothfuß gegründet und veranstaltet Fahrten nach Russland, 2018 – und erneut 2024 – auch nach Nischni Nowgorod.

Beim Halt dort erkor der 59-jährige Kirsch die Gegend zu seiner künftigen Heimat: Nun will er dort auf acht Hektar eigenem Land rund um sein Haus herum ein „deutsches Dorf“ errichten. Davon erzählt er regelmäßig in russischen Medien, im März erhielt er per Dekret von Präsident Putin die russische Staatsangehörigkeit.

In Nischni Nowgorod: Martin Held interviewt Remo Kirsch, den Gründer eines deutschen Dorfes. (Quelle: Telegram/Moya Rossiya)

Gleb Nikitin, der Gouverneur der Region Nischni Nowgorod und Studienfreund des AfD-Politikers Maximilian Krah, ernannte Kirsch Ende Juni zudem zum ehrenamtlichen Berater für Auswanderer in der Region. Einen weiteren Deutschen machte er zum Generaldirektor einer staatlichen Agentur zur Unterstützung von Zuwanderern. Diese Personalvermittlung ist die Agentur OKA – einer der drei Partner von Butinas „Welcome to Russia“.

An der Spitze steht Jakob Pinneker, einst Russland-Chef der Maschinenfabrik Reinhausen (MR), einem Weltmarktführer für Trafo-Technik. 2016 war der Wolgadeutsche mit seiner Familie nach Russland gezogen. Mitte 2022 hat sich das Unternehmen von Pinneker getrennt, erklärt die Zentrale in Regensburg. Das Russlandgeschäft werde seither sanktionsgerecht abgewickelt. Und „MR“ steht bei Pinneker jetzt eher für Moya Rossiy.

Für Butina sind Pinneker und die Region Nischni Nowgorod besonders wichtig, andere Regionen in Russland sollen von ihnen lernen. Und die Region ist auch mit ihrer Moskauer Vertretung Schauplatz des ersten Treffens freiwilliger Helfer von „Welcome to Russia“ am 23. Dezember, gut zwei Dutzend Menschen hören unterm Weihnachtsbaum Butina und Held zu.

Am 20. November ist Butina in Nischni bei einem Treffen mit ausgewanderten Menschen aus dem Westen dabei. Sieben Familien hätten es mithilfe der Agentur geschafft, auszuwandern, erklärt Pinneker da. Einen Monat vorher hatte er Bublik zu einem runden Tisch begrüßt.

Nischni Nowgorod: Maria Butina und Martin Held (rechts) schauten sich an, wie Jakob Pinneker (links) und Anwalt Timur Beslangurow (2. v. r.) mit einer Agentur Auswanderer betreuen, während Remo Kirsch (2. v. l.) den Gouverneur ehrenamtlich berät.

Der Jurist: Pinneker hat einen Co-Geschäftsführer, der auch bei Moya Rossiya und Put Domoj aktiv ist und oft als „persönlicher Berater“ von Politikerin Butina bezeichnet wird: Anwalt Timur Beslangurow (44). Mit seinem eigenen Unternehmen hat er westlichen Firmen bei Einwanderungsfragen geholfen, aber die „Services seit 2022 an die aktuellen Gegebenheiten angepasst“. So steht es auf der Firmenseite, die offenbar auf dem gleichen Server liegt wie Internetseiten von Maria Butina und Moya Rossyia. Die Firma ist zudem im gleichen Bürokomplex gemeldet wie Butinas „Welcome to Russia“.

Katharinenforum zu Zuwanderung; Moya-Rossiya-Aktivistin Nina Popova traf dort in Moskau Anwalt Beslangurow. (Quelle: Telegram/Moya Rossiya)

Beslangurow ist aber auch Geschäftsführer eines Bauernhofs – notgedrungen: Bei einer kanadischen Vorzeigefamilie, acht Kinder und enttäuscht vom Westen, lief es nach dem Umzug doch nicht so gut in Russland mit einer geplanten Farm – sie hatten schon ein YouTube-Video veröffentlicht, wie die Bürokratie ihre Träume zunichtemache. Jetzt leitet Problemlöser Beslangurow auf dem Papier den Bauernhof, die Familie kann wieder in Russlands Medien herumgereicht werden.

Derartige Probleme will Moya Rossiya zusammen mit dem Anwalt Beslangurow Einwanderern künftig ersparen: Es gibt ein Rundum-sorglos-Paket mit Check aller notwendigen Papiere und betreuten Behördengängen für 290.000 Rubel (rund 2.7000 Euro) für die erste Person, für weitere wird es günstiger.

Die Verstärker: Bei der Vorstellung von „Welcome to Russia“ saß neben Butina die Deutsche Alina Lipp. Die 31-Jährige trug die frisch verliehene Puschkin-Medaille, höchste Auszeichnung für kulturelle Leistungen, die die „mutige Journalistin“ im November erhalten hatte. Lipp hat den größten deutschsprachigen Kanal zur Verbreitung prorussischer Propaganda mit mehr als 180.000 Abonnenten und die Staatsangehörigkeit der nicht anerkannten Volksrepublik Donezk.

Weil sie zu Beginn des Ukraine-Krieges von Donezk aus das völkerrechtswidrige russische Vorgehen feierte, leiteten deutsche Staatsanwälte Ermittlungen wegen Billigung eines Angriffskriegs ein – seitdem tritt Lipp in Russland als Opfer politischer Verfolgung auf. Ihre deutsche Mutter folgte ihr nach Problemen mit ihrer Bank nach Russland. Die Bloggerin bekam nach eigenen Angaben viel von deren Schwierigkeiten beim Umzug mit.

Alina Lipp: In einer Kommission der Bürgerkammer wirbt sie im Juni 2023 für erleichterte Zuwanderung aus dem Westen. Neben ihr sitzt John Mark Dougan, Amerikaner, der als Schlüsselfigur bei Fake-Videos und Fake-Seiten gilt. (Quelle: Telegram/Moya Rossiya)

Sie erklärt, häufig von auswanderungswilligen Menschen aus dem Westen kontaktiert zu werden. Moya Rossiya nimmt ihr das nun in Teilen ab. Im Juni 2023 stellte Lipp die Organisation einem Ausschuss der russischen Gesellschaftskammer vor, die die Duma beraten soll. Eine Million hoch qualifizierter Menschen aus den USA und der EU könnten nach Russland ziehen, hieß es da.

Von Lipps Abonnenten sind viele auf die junge Frau eingeschworen. Wenn Lipp Botschaften verbreitet, bekommen sie eine deutlich größere Reichweite unter deutschsprachigen Russland-Sympathisanten. Mehr als 120 Postings hat sie zu Moya Rossiya in ihrem Kanal verschickt. Es gibt weitere Kanäle junger Frauen im Moya-Rossiya-Netzwerk, die überwiegend von Russlands Schönheiten schwärmen.

Über Deutschland, wo sie früher lebten, finden sie selten ein gutes Wort.

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