Im vergangenen Juni trat der deutsche Europaabgeordnete Patrick Breyer von seinem Posten im Europaparlament zurück und hinterließ damit ein Vermächtnis als Aktivist für digitale Rechte. Euronews traf Breyer, um über seinen anhaltenden Kampf für Online-Privatsphäre und seine Sicht auf die transformativen Auswirkungen neuer Technologien zu sprechen.
Während seiner Amtszeit war Breyer eine prominente Stimme gegen die umstrittene Verordnung zum Schutz von Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs (CSAM), auch bekannt als „Chat-Kontrolle“, und spielte eine Schlüsselrolle bei der Reform der ePrivacy-Verordnungen der EU – eine entscheidende Voraussetzung für den Schutz der Online-Privatsphäre.
Breyer, der bereits in der Vergangenheit sowohl Deutschland als auch die EU-Kommission mit Klagen wegen der Vorratsdatenspeicherung herausgefordert hat, sagte, er werde parallel zu seiner Arbeit als Zivilrichter in seinem Heimatland Deutschland weiterhin für digitale Rechte kämpfen.
Euronews: Könnten Sie für Leser, die die Piratenpartei nicht kennen, erklären, wofür sie steht? Wie erklären Sie den Rückgang der Zahl der Europaabgeordneten der Piratenpartei von vier auf eins zwischen der letzten und der aktuellen Legislaturperiode?
Patrick Breyer: Die Piratenpartei setzt sich für Grundrechte im digitalen Zeitalter ein. Die digitale Revolution hat tiefgreifende Auswirkungen auf unser Leben. Daher ist es wichtig, sie so zu gestalten, dass alle davon profitieren. Die Piratenpartei wurde gegründet, um eine menschenzentrierte Gesellschaft im digitalen Zeitalter zu fördern.
Der Rückgang der Sitze im Juni hat uns alle überrascht, also habe ich eine Umfrage unter meinen Followern durchgeführt, um die Gründe dafür herauszufinden. Die Rückmeldungen deuteten auf mehrere Faktoren hin, darunter mangelnde Sichtbarkeit und das Fehlen von Diskussionen über Grundrechte und Technologie während des Wahlkampfs. Darüber hinaus waren viele der Meinung, dass andere Themen, wie der Kampf gegen die extreme Rechte oder die Verteidigung des Green New Deal, dringlichere Prioritäten seien.
Euronews: Werden die Fragen der Grundrechte im Internet auch von anderen Mitgliedern des Europäischen Parlaments verteidigt?
Patrick Breyer: Leider befürchte ich, dass es in diesem Bereich eine erhebliche Lücke geben wird. Ich sehe bei den derzeitigen Europaabgeordneten kein großes Interesse an digitalen Rechten. Was beispielsweise die Akte „Chat-Kontrolle“, die ich beobachte, betrifft, ist mir nicht bekannt, dass andere Fraktionen bereits Schattenberichterstatter ernannt haben, was darauf hindeutet, dass diese Themen nicht ausreichend im Fokus stehen.
In der jüngsten Rede von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wurde deutlich, dass digitale Rechte in den Hintergrund geraten sind. Vor fünf Jahren war die digitale Revolution für die Kommission eine ebenso große Priorität wie der Klimawandel, aber das scheint nicht mehr der Fall zu sein. Auch im Europäischen Parlament gibt es unter den neuen Abgeordneten nur wenige Digitalexperten. So gibt es beispielsweise einen bekannten YouTuber aus Zypern, der zwar auf seinem Gebiet kompetent ist, aber kein Experte für digitale Rechte.
Allerdings kamen während der letzten Legislaturperiode die größten Herausforderungen hinsichtlich unserer digitalen Rechte eher von der Kommission und den nationalen Regierungen als vom Europäischen Parlament selbst.
Euronews: Apropos Chat-Kontrolle: Die Verordnung über Material zu sexuellem Kindesmissbrauch soll im Oktober im Rat diskutiert werden. Ziel ist es, bis Dezember eine allgemeine Linie zu erreichen. Nachdem es der spanischen und belgischen Präsidentschaft nicht gelungen ist, eine Einigung zu erzielen, glauben Sie, dass Ungarn während seiner EU-Ratspräsidentschaft Erfolg haben könnte?
Patrick Breyer: Es besteht tatsächlich die Gefahr, dass sich für die Chat-Kontrolle eine Mehrheit finden lässt. Beim letzten Mal war die Abstimmung äußerst knapp; hätte nur eine weitere Regierung eine andere Position vertreten, hätte sie eine qualifizierte Mehrheit erreicht. Einige Regierungen, wie die Niederlande, lehnen die Regelung aus relativ geringen Gründen ab, etwa wegen der Entdeckung unbekannten Materials. Dennoch bedeutet dies, dass die Verschlüsselung geknackt und das Recht auf Privatsphäre durch das Scannen von Kommunikationen verletzt wird.
Weitere Zugeständnisse könnten möglicherweise zu einer Mehrheit führen, selbst wenn die Kernpunkte des Vorschlags – nämlich die Abschaffung der Privatsphäre und sichere Verschlüsselung – unberücksichtigt bleiben. Deshalb müssen wir äußerst wachsam sein. Wir müssen die Regierungen der Mitgliedstaaten von dem vom Parlament vorgeschlagenen alternativen Ansatz überzeugen, der darauf abzielt, die Sicherheit von Kindern durch die Nutzung von Technologie zu gewährleisten, indem Apps und Dienste unter Berücksichtigung der Sicherheit entwickelt werden, anstatt auf Überwachung zurückzugreifen.
Euronews: Können strenge Sicherheitsmaßnahmen mit dem Schutz der Online-Privatsphäre koexistieren?
Patrick Breyer: Ich glaube, dass sich Datenschutz und Sicherheit nicht gegenseitig ausschließen. Datenschutz ist vielmehr ein wesentlicher Bestandteil echter Sicherheit. Wir können nicht wirklich sicher sein, wenn unsere persönlichen Daten nicht vor Regierungen und der Industrie geschützt sind. Dies ist besonders wichtig, da wir den Aufstieg autoritärer Regierungen erleben, sogar innerhalb der EU. Die Pegasus-Akten haben gezeigt, wie viele Regierungen ihre Überwachungsbefugnisse für politische Zwecke missbraucht haben. Angesichts dessen, was wir heute wissen, wäre es naiv und äußerst gefährlich anzunehmen, dass Regierungen nichts falsch machen können.
Mit dem richtigen Ansatz ist es möglich, sowohl Privatsphäre als auch Sicherheit zu erreichen. Der vorherrschende Diskurs in der Sicherheitsbranche priorisiert jedoch oft Sicherheit um jeden Preis, was uns leicht auf einen Weg führen kann, der dem ähnelt, was wir in China erleben, wo ein High-Tech-Überwachungsstaat aufgebaut wird. Dies ist die große Gefahr, da wir über die Technologie verfügen, um einen solchen Staat zu schaffen, und wir müssen wachsam sein, um dies zu vermeiden.
Euronews: Auch auf Ratsebene steckt der Datenschutz im Internet noch immer fest. Welche Erwartungen haben Sie als Verhandlungsführer Ihrer Fraktion an die Fortschritte in dieser Angelegenheit?
Patrick Breyer: Das Vorhaben ist vor allem aufgrund der Lobbyarbeit der Industrie ins Stocken geraten. Unternehmen wie Google lehnen Maßnahmen ab, die Tracking Walls verbieten, die ein wesentlicher Bestandteil ihrer Geschäftsmodelle sind. Als der Rat seine Position vorlegte, ignorierte er Datenschutzbedenken weitgehend und schlug vor, Metadaten und Kommunikationsinhalte für Geschäftskunden und Behörden zugänglich zu machen.
Meine Haltung war klar: Wenn das Ergebnis der Verhandlungen die aktuelle Situation verschlechtert und die Privatsphäre einschränkt, hat es keinen Sinn, die Reform weiterzuverfolgen. Insbesondere das Beharren des Rates auf der Legalisierung der Vorratsdatenspeicherung, die der Gerichtshof aufgrund ihres unverhältnismäßigen Charakters als unvereinbar mit der bestehenden E-Privacy-Richtlinie erachtet hat, war ein großer Knackpunkt.
Dies könnte dazu führen, dass die Kommission ihren Vorschlag zurückzieht.
Euronews: Was ist der allgemeine Trend in der EU hinsichtlich der Online-Regulierung? Bewegen wir uns in Richtung eines sichereren oder stärker überwachten Internets?
Patrick Breyer: Der Trend scheint sowohl in Richtung verstärkter Überwachung als auch verbesserter Datenschutzmaßnahmen zu gehen. Einerseits tendiert die EU zu mehr Überwachung. Regierungen haben aufgrund der allgegenwärtigen Technologie einen beispiellosen Zugriff auf persönliche Informationen, was zu einer umfassenderen Datenerfassung über unser Leben führt.
Auf der anderen Seite gibt es ein wachsendes Bewusstsein und Bemühungen seitens der Branche und der Entwickler, Datenschutzbedenken auszuräumen. So ist beispielsweise Metas Entscheidung, Facebook Messenger-Chats standardmäßig Ende-zu-Ende-verschlüsselt zu machen, ein bedeutender Schritt vorwärts beim Schutz der Privatsphäre.
Wir haben uns konsequent für ein Moratorium zur Massenüberwachung ausgesprochen. Für die Kommission sollte es ein nicht verhandelbares Prinzip sein, keine neuen Maßnahmen zur Massendatenverarbeitung und Überwachung der Bürger vorzuschlagen.
Seien Sie nächste Woche gespannt auf die vierte Folge der Euronews Digital Summer Series – gewidmet den zukünftigen Herausforderungen der KI!