Leon Goretzka muss sich beim FC Bayern nun eine wegweisende Frage stellen, meint t-online-Kolumnist Stefan Effenberg. An die Münchner Konkurrenz hat er eine Mahnung.

Ein Spiel, wie es der FC Bayern am Mittwoch beim 1:0 gegen Benfica Lissabon durchgemacht hat, habe ich zu meiner aktiven Zeit sehr, sehr gerne gespielt. Du musst bis zur letzten Minute ans Limit gehen, wirst gefordert, musst kämpfen, um dein Ziel zu erreichen. Und so ein Spiel haben auch Trainer am liebsten. Viel lieber als ein 9:2 gegen Dinamo Zagreb oder ein 6:1 bei Holstein Kiel, in dem du überhaupt nicht gefordert wirst.

Vincent Kompany hat es nach der Partie ja richtig gesagt: „Auch mal so ein Spiel zu gewinnen, ist sehr wichtig für uns“ – das ist es nämlich. So ein hart erkämpftes 1:0 ist von enormer Bedeutung für das Selbstvertrauen, für den Glauben der Mannschaft an sich selbst, auch für die Fitness, da du über 90 Minuten da sein musst und nicht schon nach einer guten Stunde einen Gang runterschalten kannst.

Leroy Sané hat nach seiner Einwechslung den Sieg mit auf den Weg gebracht. Dass er dazu immer die Qualität hat, ist hinlänglich bekannt. Mit seiner aktuellen Situation als Einwechselspieler bei den Bayern wird er nicht zufrieden sein. Aber: Er hat momentan keine Argumente für einen Startelf-Einsatz auf seiner Seite – und Kompany überhaupt keinen Grund, in der Offensive zu wechseln. Das Quartett aus Jamal Musiala, Michael Olise, Serge Gnabry und Harry Kane ist eingespielt, ihnen vertraut der Trainer. Ich rechne es Sané zwar hoch an, wie seriös er mit seinem Status umgeht. Ob das für ihn aber wirklich eine Dauerlösung ist – das ist die Frage.

Ungleich auswegloser scheint die Situation indes für Leon Goretzka. Wenn du schon zur Einwechslung bereitstehst und dann doch wieder auf der Bank Platz nehmen musst – das ist schon extrem bitter. Und für ihn ist das noch ein Zeichen, dass seine Entscheidung, bei den Bayern zu bleiben und den Konkurrenzkampf anzunehmen, vielleicht doch nicht die richtige war. Ganze 134 Minuten stand er in dieser Saison bisher auf dem Platz – ein Spieler seines Kalibers muss aber den Anspruch haben, in 40, 45 Spielen eines Jahres gesetzt zu sein. Das ist komplett ernüchternd.

Er muss langsam erkennen, dass er offenbar wirklich kaum eine Chance hat – und sich nun Gedanken machen, ob er nicht schon im Winter den Schritt gehen will, den er im vergangenen Sommer nicht gehen wollte. Er sollte ernsthaft an einen Wechsel denken. Kompany setzt nicht auf ihn, das ist mehr als deutlich geworden, und das kann und sollte Goretzka nicht noch ein weiteres halbes Jahr durchstehen. Er möchte spielen, er möchte in die Nationalmannschaft zurück – wie soll das funktionieren bei dem schweren Stand, den er in München hat? Ich bin mir auch sicher, dass ihm die Bayern keine Steine in den Weg legen würden. Es geht um seine Karriere.

Für die Bayern ging es gegen Benfica dagegen darum, die Chance auf die nächste Runde am Leben zu erhalten. Das muss schließlich das Ziel sein und nicht die Play-offs, durch die sie dann noch zwei Spiele mehr hätten. Dieser Sieg war enorm wichtig. Die nächsten Gegner der Bayern in der Champions League sind Paris Saint-Germain zu Hause (26. November) und Schachtar Donezk in Gelsenkirchen (10. Dezember). Das sind zwei Pflichtsiege, in denen die Bayern, wenn sie die Spiele weiter so seriös angehen, die Punkte holen sollten, die sie benötigen.

Bayer Leverkusen hat beim 0:4 in Liverpool – einem zugegebenermaßen enorm starken Gegner – unterdessen zwei komplett unterschiedliche Gesichter gezeigt: eine ansprechende erste Hälfte, in der sie gut mitgehalten haben – und dann der dramatische Einbruch nach der Pause. Aber: Zwei Gesichter haben wir von der „Werkself“ auch schon in der Bundesliga gesehen. Da haben sie teilweise aufgespielt wie in der vergangenen Saison – auch wenn selbst bei guten Auftritten das Ergebnis nicht immer gestimmt hat – und dann hatten sie aber auch Duelle wie beim FC Bayern, als sie im Ansatz überhaupt nicht wiederzuerkennen waren.

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