Behörde gibt grünes Licht

Erstes Alzheimer-Medikament in der EU: Wie es wirkt und wer es bekommt


15.11.2024 – 10:14 UhrLesedauer: 4 Min.

Alzheimer-Patient: Das Fortschreiten der Erkrankung soll mit einem neuen Medikament gebremst werden. (Quelle: Westend61/getty-images-bilder)

Erstmals steht in der EU eine Therapie gegen Alzheimer vor der Zulassung. Das Medikament namens Lecanemab ist allerdings nur für bestimmte Patienten sinnvoll.

Allein in Deutschland sind etwa eine Million Menschen von Alzheimer betroffen. Die Europäische Arzneimittel-Agentur Ema hat für die EU nun erstmals grünes Licht für eine Alzheimer-Therapie gegeben, die auf zugrundeliegende Krankheitsprozesse abzielt. Sie empfiehlt die Zulassung des Antikörpers Lecanemab zur Behandlung von leichter kognitiver Beeinträchtigung (Gedächtnis- und Denkstörungen) oder leichter Demenz in einem frühen Stadium der Alzheimer-Krankheit.

Bisherige Alzheimer-Therapien behandeln nur Symptome der Krankheit, nicht ursächliche Prozesse im Gehirn. Das ist bei Lecanemab anders: Der Antikörper richtet sich gegen sogenannte Amyloid-Ablagerungen im Gehirn und soll dadurch den Verlauf der Krankheit verlangsamen. Um Heilung oder Verbesserung geht es allerdings auch bei diesem Wirkstoff nicht, ein solches Mittel ist weiterhin nicht in Sicht.

Hauptmaßstab für die Wirksamkeit war die Veränderung der kognitiven und funktionellen Symptome nach 18 Monaten, die anhand einer Demenzbewertungsskala gemessen wurde. Die Skala reicht von 0 bis 18, wobei höhere Punktzahlen eine stärkere Beeinträchtigung anzeigen. Mit Lecanemab behandelte Patienten wiesen nach 18 Monaten im Mittel einen etwas geringeren Anstieg des Wertes auf (1,22 gegenüber 1,75). Das deute auf einen langsameren kognitiven Abbau hin, teilte die Ema mit.

Haben die Amyloid-Plaques schon irreversible Schäden im Gehirn angerichtet, nützt ihre Entfernung nichts mehr. Als frühe Alzheimer-Phase sind Johannes Levin vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) zufolge die ersten drei Jahre zu werten. Das betreffe in Deutschland aktuell vermutlich mindestens 250.000 Menschen. In dieser Frühphase kommt ein Erkrankter noch sehr gut allein klar, merkt aber zunehmend, dass sein Gedächtnis nachlässt.

Bei der Ema-Empfehlung gibt es allerdings noch eine weitere Einschränkung: Das Mittel solle nur für Alzheimer-Patienten verwendet werden, die nur eine oder keine Kopie von ApoE4, einer bestimmten Genform, haben. Bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit für bestimmte schwerwiegende Nebenwirkungen – Schwellungen und Blutungen im Gehirn – demnach geringer als bei Menschen mit zwei ApoE4-Kopien.

Menschen mit nur einer oder keiner ApoE4-Kopie machten je nach Region etwa zwei Drittel bis 80 Prozent der Alzheimer-Patienten aus, erklärte Gabor Petzold, Direktor der Klinischen Forschung am DZNE. In Deutschland seien es ungefähr 80 Prozent.

Hinzu kommen weitere einschränkende Voraussetzungen – insgesamt kommt Experten zufolge nicht jeder Alzheimer-Erkrankte für eine Antikörpertherapie infrage.

Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden weltweit über 55 Millionen Menschen an Demenz, wobei Alzheimer etwa 75 Prozent dieser Fälle ausmacht. Die Krankheit führt zu einem fortschreitenden Rückgang der kognitiven Funktionen, gekennzeichnet durch Gedächtnisverlust und Verwirrung. Mehr dazu lesen Sie hier.

Geht es jetzt direkt los mit solchen Behandlungen?

Nein. Zu bedenken sei, dass erst noch einige Schritte bis zu einem Einsatz in Deutschland anstünden, sagte Petzold: Die Zulassung durch die EU-Kommission stehe noch aus, zudem sei der Hersteller zum Beispiel verpflichtet worden, ausführliche Handreichungen und Schulungen unter anderem für Ärzte auszuarbeiten und ein Beobachtungsregister anzulegen.

Es werde noch einige Monate dauern, bis das Mittel wirklich eingesetzt werden könne. Bei Patienten müsse Alzheimer wiederum erst gesichert durch Biomarker-Tests nachgewiesen sein, gefolgt von einem genetischen Test. Infrage komme die Therapie zudem wirklich nur für Betroffene mit einer Vorstufe oder einem sehr frühen Stadium der Erkrankung.

In den nächsten Tagen sei aber bereits mit sehr vielen Anfragen von Betroffenen und Angehörigen bei Hausärzten, Alzheimer-Zentren und Gedächtnissprechstunden zu rechnen, sagte Petzold. Johannes Levin befürchtet einen Ansturm Zehntausender Menschen schon bei kleinster Vergesslichkeit. Für die Diagnosezentren wäre eine solche Flut von Abklärungen kaum zu stemmen, sagte er.

Der Neurologe Özgür Onur von der Uniklinik Köln geht zudem davon aus, dass er nur verhältnismäßig wenig Erkrankte pro Jahr mit der neuen Therapie behandeln kann, da die häufige Verabreichung eine große Herausforderung darstellt. „Ich gehe bei uns in Köln von 50 bis 100 Patienten aus, die wir pro Jahr behandeln können. Und wir sind ein großes Zentrum.“

  • Lesen Sie auch: Forscher finden unerwarteten Risikofaktor für Alzheimer

Ja. Im Juli hatte die EU-Arzneimittelbehörde noch entschieden, dass das Risiko schwerer Nebenwirkungen des Antikörpers höher zu bewerten sei als die erwartete positive Wirkung. Das Unternehmen Eisai hatte daraufhin eine zweite Prüfung beantragt.

Dabei kam der Humanarzneimittelausschuss der Ema nun zu dem Schluss, dass in der begrenzten Population, die bei der erneuten Prüfung untersucht wurde, der Nutzen von Lecanemab bei der Verlangsamung des Fortschreitens der Krankheitssymptome größer ist als die Risiken. Bei der ersten Prüfung waren noch keine Untergruppenanalysen berücksichtigt worden, sondern alle Patienten.

Share.
Exit mobile version