Anne Frank starb 1945 im Holocaust – ihre beste Freundin Hannah Pick-Goslar machte es sich zur Lebensaufgabe, ihr Andenken zu bewahren. Im Interview erzählt Ruthie Meir, Pick-Goslars Tochter, wie ihr das gelang. Und wie ihre Mutter den Nationalsozialismus überlebte.

Im Konzentrationslager Bergen-Belsen starb 1945 Anne Frank, sie wurde nur 15 Jahre alt. Jahre später lasen Millionen Menschen ihr Tagebuch, das ihr Schicksal weltbekannt machte. Doch nur wenige Menschen konnten persönlich von ihr erzählen. Hannah Pick-Goslar, die Bergen-Belsen überlebt hatte, war einer dieser Menschen: Sie war eine enge Freundin von Anne Frank im niederländischen Exil gewesen.

Hannah Pick-Goslar starb 2022 noch vor Erscheinen ihres Buch „Meine Freundin Anne Frank. Die Geschichte unserer Freundschaft und mein Leben nach dem Holocaust“. Doch ihre Tochter Ruthie Meir hält die Erinnerung wach: Im Interview berichtet sie, wie ihre Mutter den Holocaust überlebte, wie groß deren Freundschaft zu Anne Frank gewesen ist und wie die Welt friedlicher werden könnte.

t-online: Frau Meir, Sie sind mit der Erinnerung an einen Menschen aufgewachsen, den Sie niemals persönlich erleben konnten: Anne Frank starb 1945 im Holocaust. Wie war es, diese berühmte Persönlichkeit aus der Erinnerung ihrer Mutter Hannah Pick-Goslar kennenzulernen?

Ruthie Meir: Anne Frank war in unserem Zuhause allgegenwärtig. Meine Mutter Hannah hat ständig über sie gesprochen, wir Kinder wuchsen mit Anne Frank auf – wenn man das so sagen kann. Aber meine Mutter war es nicht allein, die uns von Anne berichtet hat.

Sie meinen Otto Frank, Annes Vater, der als einziger aus der Familie den Holocaust überlebt hatte?

Wir nannten ihn Onkel Otto, unsere Familie war in beständigem Kontakt mit ihm. Otto Frank schrieb meiner Mutter und uns Briefe nach Israel, sehr warm und sehr innig, er mochte Kinder sehr.

1947 gab Otto Frank das Tagebuch seiner toten Tochter heraus, das Anne Frank auf der ganzen Welt bekannt machte. Und in gewisser Weise auch Ihre Mutter. Wie ging Hannah Pick-Goslar damit um?

Meine Mutter fand es faszinierend, dass Millionen Fremde in Annes Tagebuch lasen. So etwas ist eigentlich eine intime Angelegenheit. Dabei hatte Otto Frank zunächst händeringend nach einem Verlag suchen müssen, schließlich wurde Annes Tagebuch aber zu einem unfassbaren Erfolg. Meine Mutter war hingegen in dieser Zeit mit ihrer eigenen Familie beschäftigt, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit hat sie nie selbst angestrebt. Das war ihr eher unangenehm. Aber sie spürte eine Verantwortung.

Zur Person

Ruthie Meir, 1956 in Jerusalem geboren, ist die Tochter von Hannah Pick-Goslar und selbst Mutter von acht Kindern. Bei der Entstehung des Buches „Meine Freundin Anne Frank. Die Geschichte unserer Freundschaft und mein Leben nach dem Holocaust“ von 2023 unterstützte Ruthie Meir ihre Mutter; sie will sich auch zukünftig für die Bewahrung ihres Andenkens einsetzen.

Der Hannah Pick-Goslar auch nachkam, als sie 1957 als beste Freundin Anne Franks endgültig international bekannt wurde.

Mein Vater war dafür verantwortlich. Seit 1955 wurde Annes Tagebuch in einer Theaterfassung aufgeführt, zwei Jahre später kam das Stück nach Israel. Mein Vater, Walter Pinchas Pick, telefonierte daraufhin mit einem Journalisten – und erzählte ihm, dass Hannah einst eng mit Anne befreundet gewesen ist. Später brachte ein Bote VIP-Karten für meine Eltern, am Premierenabend saßen sie dann neben Israels Präsident und seiner Frau. Von da ab drehte sich unser ganzes Leben um Anne Frank. Journalisten aus Israel und anderen Ländern rund um die Welt wollten mit meiner Mutter sprechen und mehr erfahren über die Frau, die Anne Franks Freundin war.

Meine Mutter war eine überaus lebensfrohe und glückliche Persönlichkeit, sie hatte Humor und war von immenser Stärke. Immer hat sie zuerst an andere gedacht, sie hatte auch den Beruf der Krankenschwester ergriffen. So war Hannah bis zum Ende ihres Lebens. Mir hat sie in schweren Zeiten sehr geholfen, besonders als mein Mann vor 27 Jahren starb. Hannah ging mit den Enkeln auf Feiern, alle waren neidisch auf diese tolle Großmutter! Selbst in ihren letzten Tagen machte Hannah sich Gedanken, was dieses Enkelkind nun brauchen würde oder jenes.

1942 starb Hannahs Mutter im Exil in den Niederlanden, in die Ihre Familie vor den Nationalsozialisten geflüchtet war. Hannah Pick-Goslar sorgte danach für ihre kleine Schwester Gabi mit. Rührt daher das Engagement Ihrer Mutter für andere Menschen?

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