„La Furia Roja“ beeindruckt bei dieser EM durch ihr Pressing. Sie schnürt die Gegner in deren eigener Hälfte ein. Aber die Dominanz bietet auch Angriffspunkte – wenn man sich befreien kann.

Deutschlands Viertelfinalpartie gegen Spanien – für viele Fans und Experten ist das Aufeinandertreffen der beiden Ex-Welt- und Europameister am Freitag (18 Uhr im t-online-Liveticker) das vorweggenommene Endspiel bei dieser EM.

Die beiden überzeugendsten Mannschaften des Turniers, so die einhellige Meinung, stehen sich in Stuttgart gegenüber. Die Statistiken bestätigen die Einschätzung: Spanien gewann als einziges Team bisher all seine Spiele, Deutschland schoss die meisten Tore (10), Spanien die zweitmeisten (9).

Vor allem die Iberer traten in ihren vier Partien extrem dominant auf, schnürten die Gegner in deren eigener Hälfte ein und ließen sie kaum zur Entfaltung kommen.

Experte Tobias Escher (Mitte) mit Manuel Neukirchner (l.), Gründungsdirektor des Deutschen Fussballmuseums, und Trainer-Legende Hermann Gerland bei einem Taktiktalk in Dortmund. (Quelle: nordphoto / Rauch/imago)

„Gerade im Pressing sind die eine richtige Wucht“, analysiert Buchautor und Taktikexperte Tobias Escher im SID-Gespräch. „Die gehen immer wieder mit fünf Mann nach vorne, die Außenverteidiger rücken hier sehr weit ein, sind sehr aggressiv. Das ist eine sehr dominante Spielweise.“

Was ihm außerdem gefällt: „Dazu kommt eine exzellente Raumbesetzung und, dass sie die Pässe durchs Mittelfeld jagen, als würden sie aufs Tor schießen. Da Zugriff zu bekommen, ist sehr schwer.“

Die Folge: Durch die Gruppenphase spielten sich die Spanier ohne Gegentor. Im Achtelfinale traf Georgien nur dank eines spanischen Eigentors – und hatte wie alle anderen Gegner nie eine Siegchance.

Wie kann die deutsche Mannschaft dem Dauerdruck der Spanier begegnen?

Escher hat auch Schwachpunkte beim Team von Trainer Luis de la Fuente ausgemacht: „Auf den Außen sind die Spanier anfällig, in den Raum musst du kommen und dafür sorgen, dass Williams und Yamal nach hinten arbeiten müssen.“

Auch bei der DFB-Elf selbst sieht man Schwächen in der Rückwärtsbewegung des Gegners. Kapitän İlkay Gündoğan kennt viele Spieler aus der spanischen Liga. Besonders gut den angesprochenen Lamine Yamal, das 16-jährige Wunderkind, mit dem er in Barcelona zusammenspielt: „Gerade seine Aktivität im Verteidigen ist nicht die größte, da muss er noch viel lernen. Da gibt es für uns vielleicht Möglichkeiten, Räume zu bespielen, die er nicht so gut abdeckt.“

Wie das funktionieren kann? Escher, der das Taktikportal spielverlagerung.de gründete, erklärt: „Da kann es sinnvoll sein, Sané auf rechts zu stellen und Raum auf links, um viel Breite und die Option zu haben, mit Fünferkette zu verteidigen.“

Fakt ist auch: Nominell war noch kein Gegner so stark, wie es nun die deutsche Mannschaft wird, die selbst auf viel Ballbesitz setzt.

Selbst oft den Ball zu haben und Druck aufzubauen, kann der Schlüssel in dem Spiel werden. Escher sagt: „Ich finde sie gar nicht überragend, wenn sie den Ball nicht haben. Dann sind die beiden Achter häufig sehr hoch und sehr aggressiv im Pressing – dann kannst du in den Raum dahinter kommen.“

Dafür ist Mut im eigenen Ballbesitz gefragt, sich nicht vom Pressing zu unkontrollierten langen Bällen verleiten zu lassen. Escher: „Du musst es schaffen, dass beim Spielaufbau die ersten drei, vier Pässe sitzen. Wenn du dann Wirtz und Musiala in den Räumen hinter Pedri und Ruiz findest, ist das Gold wert.“

Das sieht auch t-online-Kolumnist Stefan Effenberg so. Er schreibt: „Du musst die Spanier bearbeiten, hier und da auch selbst die Spielkontrolle übernehmen. Denn wenn du ihnen nur hinterherläufst, wird das schwierig bis unmöglich.“

Der Vize-Europameister von 1992 nennt ein mahnendes Beispiel: „Das kostet zu viel Kraft, dann geht es der deutschen Mannschaft wie den Türken gegen Österreich, die zwar das 2:1 über die Zeit retten konnten, am Ende aber nur noch in den Seilen hingen. Das darf uns nicht passieren.“

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