Wie rassistisch ist der Fußball? Ronny Blaschke hat darüber ein Buch geschrieben – und spricht mit t-online über potenzielle Gefahren dieser Heim-EM.

Wer in Deutschland an die WM 2006 denkt, denkt wohl als allererstes an eine riesengroße Party. Die Welt zu Gast bei Freunden, das Sommermärchen. Deutschland als ein Land im kollektiven Jubelrausch, der auch nicht durch das bittere Halbfinal-Aus gegen Italien gebrochen werden konnte.

Doch nicht alle Deutschen waren Teil der großen Gaudi, die dem Image des Landes doch so gutgetan hat. Ausgrenzung und Rassismus waren damals wie heute Teil unserer Gesellschaft. Und auch bei dieser Europameisterschaft ist es schon zu rassistischen Äußerungen und Attacken gekommen.

Deutschland-Fans auf der Fanmeile bei der WM 2006: „Sommermärchen“ als ewiges Beispiel. (Quelle: imago-images-bilder)

Wie rassistisch ist der Fußball? Darüber sowie die Gefahren der aktuellen Heim-EM hat t-online mit dem Buchautor und Journalisten Ronny Blaschke gesprochen.

t-online: Herr Blaschke, Bundestrainer Julian Nagelsmann hat sich wenige Tage vor EM-Start zu einer viel diskutieren WDR-Umfrage geäußert. In dieser gab rund ein Fünftel der Befragten an, sich mehr Nationalspieler mit weißer Hautfarbe zu wünschen. Wie haben Sie die Kommunikation des DFB wenige Tage vor EM-Start wahrgenommen?

Ronny Blaschke: In der Sozialforschung gehört es zum Alltag, dass rassistische Einstellungen mit solchen Zitaten abgefragt werden, sodass diese Diskussion nicht nur auf Gefühlen oder Anekdoten basiert. Der DFB hat inzwischen kritische Leute in seiner Fachabteilung, die sich gegen Rassismus engagieren. Julian Nagelsmann und Joshua Kimmich haben davon, so scheint es mir, noch nicht richtig viel mitbekommen. Sonst hätten sie nicht so harsch reagiert und hätten den Fokus nicht so stark auf die Umfrage gelegt. Ich glaube nicht, dass Jonathan Tah genauso reagiert hätte.

Wollte Julian Nagelsmann möglicherweise einfach seine Mannschaft schützen?

Das ist möglich. Aber es ist nicht seine Aufgabe, diese wichtige Diskussion abzumoderieren. Menschen, die von Rassismus betroffen sind, schauen eher auf die Ergebnisse dieser Umfrage, nicht auf die Methodik, weswegen ich die Reaktion des Bundestrainers als unsensibel empfand.

Ronny Blaschke: Autor und Journalist. (Quelle: Sebastian Wells)

Hätte die Medienabteilung des DFB Nagelsmann besser informieren müssen?

Wenn der DFB sein Fachwissen mit den Profispielern und den Trainern besprechen würde, zum Beispiel, dass struktureller Rassismus alle Bereiche unserer Gesellschaft durchzieht, dann hätte der Bundestrainer vermutlich anders reagiert. So wie Nagelsmann und Kimmich geantwortet haben, reagieren zwei Menschen, die sich mit dem Thema nicht groß beschäftigen müssen, weil sie selbst keinen Rassismus erleben. Keine musternden Blicke, keine Mikroaggressionen. Ja, man hätte sie besser beraten können.

Der Bundestrainer wirkte bei seiner Antwort etwas überrascht und angesäuert.

Ich glaube, er hat sich gar nicht so viel dabei gedacht. Das war eine Frage von vielen, die eben bei so einer Sport-PK auftaucht. Vermutlich hat er auch nicht absehen können, welche Wellen das Thema vor Turnierbeginn schlagen würde, was wiederum auch nicht sonderlich professionell erscheint. Die Rhetorik hätte eine andere sein können. Er hätte auf von Rassismus betroffene Menschen hinweisen können. Deshalb wundert es mich nach wie vor, dass all die Maßnahmen, die der DFB ja seit Jahren organisiert, augenscheinlich nicht bis ganz nach oben durchgedrungen sind.

Tut der DFB genug gegen Rassismus?

Die erste große Kampagne des DFB „Mein Freund ist Ausländer“ gab es bereits 1993. Seitdem hatten wir immer wieder größere Kampagnen. Wir in Deutschland sind die Meister der Symbolik geworden. Diese Kampagnen müssen aber mit Inhalten unterfüttert werden, mit Workshops in den einzelnen Landesverbänden. Natürlich hat sich ein bisschen was getan, aber ich habe das Gefühl, dass immer noch an der Oberfläche gekratzt wird. Die Präsidien, die Vorstände, alle Führungsgremien sind in überwältigender Mehrheit weiß. Dieser strukturelle Rassismus, dass schwarze Spieler beispielsweise mit mehr Körperlichkeit und Athletik in Verbindung gebracht werden und weiße Spieler stärker mit Spielintelligenz und Kreativität, ist nach wie vor präsent und wird zu wenig angesprochen. Stattdessen wird immer wieder der Fokus daraufgelegt, wie bunt die deutsche Mannschaft ist, was natürlich als Marketinginstrument super funktioniert. Wie homogen und weiß die Führungsetagen oder das Schiedsrichterwesen sind, wird kaum thematisiert.

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