Die Trump-Wahl und der russische Vorstoß im Donbass stellen die westliche Ukraine-Strategie infrage. Nun rüttelt Außenministerin Baerbock an einem Tabu – und erhält dafür Unterstützung, aber auch Kritik aus dem Parlament.
Deutsche Soldaten in der Ukraine? Was bisher in Deutschland als Tabu galt, wurde nun von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) indirekt als mögliches Szenario ins Spiel gebracht. Am Rande eines Treffens der Nato-Außenminister in Brüssel sagte Baerbock, dass zur Absicherung eines Waffenstillstands zwischen Russland und der Ukraine neben Sicherheitsgarantien wie einer Nato-Mitgliedschaft auch eine internationale Präsenz im Raum stehe.
Auf die Frage nach einer möglichen deutschen Rolle dabei sagte sie, man werde natürlich alles, was dem Frieden in der Zukunft diene, „von deutscher Seite mit allen Kräften unterstützen“. Auch Kanzler Olaf Scholz (SPD), der deutsche Truppen in der Ukraine bislang kategorisch ausgeschlossen hat, ließ am Mittwoch im Bundestag Raum für Interpretationen. Auf die Äußerung Baerbocks in der Regierungsbefragung angesprochen, sagte Scholz, er halte es für ausgeschlossen, „dass wir in der gegenwärtigen Situation Truppen oder deutsche Soldaten in die Ukraine schicken“. „In der gegenwärtigen Situation“ – damit ließ der Kanzler offen, ob dies nicht zu einem späteren Zeitpunkt doch möglich wäre.
Klar ist: Mit ihrer Äußerung sprach die deutsche Außenministerin indirekt aus, was europäische Nachbarn wie Frankreich und Großbritannien schon länger diskutieren: EU-Staaten könnten eigene Soldaten in die Ukraine schicken, um eine Waffenruhe zwischen den russischen Invasionstruppen und der ukrainischen Armee abzusichern. Laut der französischen Zeitung „Le Monde“ habe es im November Gespräche zwischen Paris und London über eine mögliche Truppenentsendung nach einer Waffenruhe gegeben – als Sicherheitsgarantie für Kiew.
Den Stein ins Rollen brachte französischen und britischen Medien zufolge die Wahl Donald Trumps zum nächsten US-Präsidenten. In Europa ist die Befürchtung groß, Trump könnte einen Deal mit Putin schließen und die Ukraine von jeglicher Militärhilfe abschneiden. Doch es gibt auch andere Signale: Laut einem Plan von Trumps designiertem Sondergesandten für die Ukraine und Russland, Keith Kellogg, könnte Trump versuchen, beide Kriegsparteien zu einem Waffenstillstand zu zwingen: Russland mit der Drohung, der Ukraine sonst mehr Waffen zu liefern; und die Ukraine mit der Ankündigung, die Militärhilfe auszusetzen.
Auch den Europäern hat Kellogg in so einem Szenario eine besondere Rolle zugedacht: Die Absicherung eines möglichen Waffenstillstandsabkommens sollen demnach europäische Truppen gewährleisten. US-Soldaten will der Trump-Berater nicht in die Ukraine schicken.
In Deutschland hat der Vorstoß der Bundesaußenministerin gemischte Reaktionen hervorgerufen. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), schließt im Gespräch mit t-online eine Entsendung internationaler Truppen mit deutscher Beteiligung ausdrücklich nicht aus. Roth nennt die „Stationierung einer internationalen Friedenstruppe“ in Verbindung mit weitreichenden bilateralen Sicherheitsgarantien „eine geeignete Möglichkeit“, um den Zeitraum bis zu einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine zu überbrücken.
Klar sei: Sollte es zu einem Waffenstillstand zwischen der Ukraine und Russland kommen, müsste der verlässlich abgesichert werden. „Andernfalls besteht die Gefahr, dass Russland die Zeit nutzt, um erneut aufzurüsten und alsbald wieder anzugreifen.“ Für Roth sei eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine – ohne die von Russland besetzten Gebiete – die „beste Lösung“, um Frieden in der Ukraine und Europa dauerhaft zu gewährleisten. Gleichwohl seien Überlegungen über eine internationale Schutztruppe „hypothetisch“, da es derzeit keinerlei Anzeichen gebe, dass Putin ernsthaft an Verhandlungen interessiert sei. „Russland sieht sich momentan im Vorteil und verfolgt weiterhin brutalstmöglich seine Kriegsziele“, so der SPD-Politiker.
Auch bei den Grünen gibt es Zustimmung für Baerbocks Truppen-Vorstoß. Der Vorsitzende des Europaausschusses des Bundestags, Anton Hofreiter (Grüne), sagt t-online, die Ukraine brauche „verlässliche Sicherheitsgarantien“, um nicht erneut von Russland angegriffen zu werden. Dazu gehöre eine Nato-Mitgliedschaft. Ein möglicher Waffenstillstand müsse durch möglichst viele Staaten, etwa auch Brasilien und Indien, abgesichert werden. „Das kann ein robustes Mandat der Vereinten Nationen sicherstellen“, so Hofreiter.