Scharfe Kritik an Lindner-Vorstoß
„Eine Nebelkerze“
01.11.2024 – 20:08 UhrLesedauer: 3 Min.
Das Grundsatzpapier von Christian Lindner hat das Potenzial, die Ampel zum Bruch zu führen. Entsprechend groß ist die Kritik der Koalitionspartner – aber auch die Opposition findet deutliche Worte.
Es war ein Paukenschlag am Freitagnachmittag: Mit einem Grundsatzpapier zur Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik hat Finanzminister Christian Lindner (FDP) einmal mehr die ohnehin schon angeschlagene Ampelkoalition aufgemischt. Seine Forderungen drohen, den Streit in der Bundesregierung weiter anzuheizen – und letztlich zum Bruch der Koalition zu führen.
„Deutschland braucht eine Neuausrichtung seiner Wirtschaftspolitik“, hieß es darin. Diese solle grundsätzlicher Art sein. Das Papier hat den Titel „Wirtschaftswende Deutschland – Konzept für mehr Wachstum und Generationengerechtigkeit.“ Es liegt t-online vor. Zuerst hatte der „Stern“ darüber berichtet. Die Reaktionen von Koalitionspartnern und der Opposition fallen kritisch aus.
Grünen-Chef Omid Nouripour hat überaus skeptisch auf das Papier reagiert. „Wir Grüne sind jederzeit bereit, ernst gemeinte Vorschläge der Koalitionspartner zum Wohle unseres Landes zu diskutieren“, sagte Nouripour t-online. „Zum Ergebnis kommt man am Ende dann, wenn die Vorschläge der Ernsthaftigkeit der Lage gerecht werden.“
Andreas Audretsch, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen, kritisiert Lindners Vorstoß deutlich: „Das Papier ist eine Nebelkerze“, sagte er t-online. „Wichtiger wäre es, dass sich der Finanzminister um den Haushalt kümmert. Die Lindner-Lücke liegt schon jetzt im zweistelligen Milliardenbereich.“ Der Finanzminister schlage nun vor, diese „Lindner-Lücke“ um einen weiteren hohen Milliarden-Betrag zu vergrößern. „Das funktioniert in FDP-Beschlüssen, nicht in der Wirklichkeit.“
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Der Haushalt sei „die zentrale Aufgabe des Finanzministers“, so Audretsch. „Es wäre wichtig für das Land, dass sich der Finanzminister nun ernsthaft dieser Verantwortung stellt und konstruktive Vorschläge macht.“
Auch aus der SPD-Bundestagsfraktion kommt scharfe Kritik am Finanzminister: „Wir brauchen jetzt keine Papiere, sondern gemeinsames Handeln, um der Industrie schnell zu helfen und Sicherheit zu geben. Vor allem brauchen wir keine Opposition in der Regierung“, sagte der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Rosemann, dem „Tagesspiegel“.
Der SPD-Abgeordnete Nils Schmid bezeichnete Lindners Papier als „inhaltlich sehr allgemein; wenn es konkret wird, nicht vereinbar mit dem Koalitionsvertrag. Nur neoliberale Phrasendrescherei“. Die FDP bleibe Antworten auf die drängenden Fragen schuldig, etwa wie Industriearbeitsplätze bewahrt und der Industriestrompreis gesenkt werden können.
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Der SPD-Haushaltspolitiker Andreas Schwarz riet Lindner, „nicht einen öffentlichen, unabgestimmten Überbietungswettbewerb an großteils nicht finanzierten Wohltaten“ zu beginnen.
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch enthielt sich einer inhaltlichen Bewertung der Vorschläge des Finanzministers. „Wichtig ist jetzt, dass der Prozess konstruktiv und lösungsorientiert von allen Beteiligten begleitet wird“, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Der finanz- und haushaltspolitische Sprecher der CSU im Bundestag, Sebastian Brehm, nannte Lindners Grundsatzpapier „Ausdruck nackter Verzweiflung über eine ausweglose Finanzlage und eine desaströse Lage seiner Partei“. Lindner und die FDP seien aber Teil und Mitverursacher der Probleme, die das Land quälten.
Der Linken-Abgeordnete Dietmar Bartsch brachte seine Kritik an Lindners Vorstoß auf X in zwei kurzen Sätzen auf den Punkt: „Das Grundsatzpapier von Christian Lindner heißt im Kern Steuersenkungen für Superreiche! NEIN!“
Mit Verkehrsminister Volker Wissing sprach sich ein FDP-Regierungsmitglied allerdings klar gegen einen Bruch der Koalition aus, wenn auch ohne klaren Bezug zu Lindner Papier. „Welchen Grund sollte es dafür geben? Weil die anderen Parteien andere Überzeugungen haben?“, schrieb er in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (Samstagausgabe).
Dies wäre „ein albernes Argument, denn das wussten alle schon vorher“. Die Koalition vor Ablauf der Wahlperiode aufzulösen, sei zudem „respektlos“ gegenüber dem Wähler, betonte Wissing. Die Regierungsparteien stünden gerade in der aktuellen Situation in der Verantwortung, mehrheitsfähige Lösungen zu präsentieren.