Der über sechs Monate dauernde Prozess stützte sich weitgehend auf historische Dokumente aus dem Stasi-Unterlagenarchiv und Aussagen von drei Rentnern.
Ein 80-jähriger ehemaliger Beamter der DDR-Geheimpolizei Stasi ist wegen der Ermordung eines polnischen Feuerwehrmanns in Berlin vor 50 Jahren zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden.
Das Gericht stellte fest, dass Martin Naumann schuldig war, Czesław Kukuczka in der Friedrichstraße, einem belebten ehemaligen Grenzübergang im Zentrum Berlins, erschossen zu haben.
Kukuczka wurde 1974 erschossen, als er durch eine Reihe von Kontrollposten ging, nachdem man ihm gesagt hatte, er könne nach West-Berlin fliehen.
Der Angeklagte, Oberleutnant einer Einsatzgruppe des ehemaligen DDR-Ministeriums für Staatssicherheit, sei mit der „Neutralisierung“ von Kukuczka beauftragt worden, nachdem der Pole gedroht habe, eine Bombe zu zünden, teilte die Staatsanwaltschaft mit.
Der Familie von Kukuczka wurde die wahre Geschichte seines Todes nicht erzählt, und seine Frau erhielt seine sterblichen Überreste zwei Wochen später in einer Urne.
„Ein gewisses Maß an Bosheit“
Der Fall wurde vom Historiker Stefan Appelius aufgedeckt, der in ehemaligen Stasi-Archiven Dokumente im Zusammenhang mit der Schießerei und Beweise dafür fand, dass die Stasi den Vorfall vertuschen wollte.
Appelius machte Kukuczkas Familie in Polen ausfindig, die die Behörden alarmierte. Gegen Naumann wurde 2021 ein Haftbefehl erlassen, im Oktober vergangenen Jahres wurde er wegen Mordes angeklagt.
Der Fall dauerte mehr als sechs Monate und stützte sich größtenteils auf historische Dokumente aus den Stasi-Archiven, die von einer digitalen Puzzle-Maschine zusammengesetzt worden waren, nachdem sie von Stasi-Beamten gezielt geschreddert worden waren, um Verbrechen zu vertuschen.
Naumann bekannte sich nicht schuldig, wurde aber letztlich wegen Mordes und nicht wegen Totschlags angeklagt – ein Novum für ehemalige Stasi-Offiziere.
Die Staatsanwälte argumentierten, dass Naumann Kukuczka mit einem gewissen Maß an „Böswilligkeit“ erschossen habe, da Kukuczka glaubte, er sei frei, als er getötet wurde – und erfüllte damit die Kriterien für einen Mord.
Dem Gericht wurde berichtet, dass Kukuczka die polnische Botschaft im ehemaligen Ostberlin betreten und damit gedroht hatte, einen gefälschten Sprengstoff zu zünden, falls er abgelehnt würde. Nachforschungen von Historikern ergaben, dass das Botschaftspersonal Kontakt zur Stasi aufgenommen hatte, die Kukuczka ein Ausreisevisum erteilte und ihn glauben ließ, er sei frei, bevor sie ihn erschoss.
Neben historischen Dokumenten stützte sich der Fall auf die Aussagen von drei Rentnern, die den Mord als Jugendliche auf einer Klassenfahrt von der Bundesrepublik Deutschland nach Ostberlin miterlebt hatten.
Staatsanwältin Henrike Hillman sagte, der Prozess sei wichtig, um ehemalige ostdeutsche Beamte vor Gericht zu stellen.
Zwischen 1961 und 1989 kamen bei dem Fluchtversuch über die Berliner Mauer mindestens 140 Menschen ums Leben. Den Verantwortlichen wurde jedoch selten Gerechtigkeit widerfahren.
Den Verurteilten drohte größtenteils die mildere Strafe des Totschlags, sofern sie auf Befehl der Stasi handelten.