Kanzlerwahl
Durchgefallen: Debakel für Noch-Nicht-Kanzler Merz
Aktualisiert am 06.05.2025 – 13:30 UhrLesedauer: 5 Min.
Der CDU-Chef gerät auf dem Weg ins Kanzleramt ins Wanken. Im Bundestag fällt er im ersten Versuch durch. Es ist ein Scheitern ohne Beispiel. Aber er ist an solche Situationen schon gewöhnt.
CDU-Chef Friedrich Merz hat auf dem Weg ins Kanzleramt überraschend einen schweren Rückschlag erlitten: Der 69-Jährige scheiterte bei der Wahl im Bundestag im ersten Wahlgang. Eine Situation, in der noch keiner der bisher neun Kanzler vor ihm war. Union und SPD wollen trotzdem mit Merz in einen zweiten Wahlgang gehen – so früh wie möglich.
Was für den Mann aus dem Sauerland der bislang größte Tag in seiner politischen Karriere werden sollte, wird zum Debakel. Es dürfte einen dunklen Schatten auf seine Kanzlerschaft werfen – wenn denn am Ende überhaupt noch etwas daraus wird.
Seine Frau Charlotte, seine beiden Töchter Carola und Constanze und Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verfolgten von der Tribüne, wie Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) wenige Minuten nach 10.00 Uhr das Scheitern im ersten Wahlgang verkündete. Merz erhielt in geheimer Abstimmung 310 von 621 abgegebenen Stimmen und damit 6 weniger als die nötige Mehrheit von 316. Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD haben zusammen 328 Sitze im Parlament.
Das ist in der Geschichte der Bundesrepublik in der Form ein Novum: Noch nie ist nach einer Bundestagswahl und erfolgreichen Koalitionsverhandlungen ein designierter Kanzler bei der Wahl im Bundestag durchgefallen. Merz zeigte bei der Verkündung des Ergebnisses kaum eine Regung: versteinerte Gesichtszüge, der Kiefer fest, der Blick geradeaus.
Merz kennt solche Momente. Nach dem Aufstieg Merkels schied er frustriert aus der Politik aus, weil es für ihn keine Karriereperspektive unter ihr gab. Sein Comeback direkt an die Parteispitze gelang erst im dritten Anlauf, nachdem er zwei Kampfkandidaturen verloren hatte. Er ist aber immer wieder aufgestanden. Und hat es jetzt nach fast ganz oben geschafft. Aber bisher eben nur fast.
Dabei sah am Montag noch alles so gut aus: Union und SPD hatten mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags das fünfte schwarz-rote Bündnis in der Geschichte der Bundesrepublik besiegelt und ihre letzten Personalfragen geklärt. Mit der Kanzlerwahl wollten die beiden Fraktionen nun die letzte Hürde auf dem Weg zu einer funktionsfähigen Regierung ein halbes Jahr nach dem Aus der Ampel-Koalition nehmen.
Das ist nun erstmal auf Eis gelegt. Die geplante Ernennung von Merz durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist zunächst geplatzt. Die Vereidigung des Kabinetts auch. Genau wie die bereits geplanten Amtsübergaben in den Bundesministerien. Der geschäftsführende Kanzler Olaf Scholz (SPD) – am Montag schon mit einem großen Zapfenstreich feierlich verabschiedet – und sein rot-grünes Rumpf-Kabinett regieren vorerst weiter.
Klingbeil versichert: SPD stand zu Merz
Wer für das Scheitern von Merz im ersten Anlauf verantwortlich ist, ist noch unklar. Union und SPD hatten vor der Sitzung angegeben, dass ihre Abgeordneten komplett anwesend seien. Doch mindestens 18 müssen nicht für Merz gestimmt haben, vielleicht auch mehr. Denn theoretisch könnten ja auch Oppositionspolitiker ihre Stimme für den CDU-Chef abgegeben haben.
An der SPD habe es nicht gelegen, versicherten die Genossen nach der Niederlage sofort. SPD-Fraktionschef Lars Klingbeil erklärte nach Angaben aus Fraktionskreisen, er habe „nicht den geringsten Hinweis, dass die SPD nicht vollständig gestanden hat“. Das deutliche Mitgliedervotum über den Koalitionsvertrag sei ein Auftrag an die Fraktion. „Und sie erfüllt diesen. Auf uns ist Verlass“, betonte der designierte Vizekanzler demnach.
Doch sicher kann auch Klingbeil nicht sein, denn die Wahl war geheim – es lässt sich also nicht überprüfen, ob nicht doch jemand anders abgestimmt hat, als er oder sie es angekündigt hat. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), betonte nach einer Fraktionssitzung: „Ich vertraue all unseren Kolleginnen und Kollegen in der SPD-Fraktion.“ Und sie zeigte sich entsetzt. „Ich finde das, was heute passiert ist, unverantwortlich.“
Aus der Opposition frohlockte vor allem die AfD und forderte sofort eine Neuwahl des Bundestags. Grünen-Chefin Franziska Brantner dagegen sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Wir wünschen uns für Europa und Deutschland eine handlungsfähige Regierung.“ Merz und Klingbeil müssten nun beweisen, dass sie die Mehrheit ihrer Fraktionen jetzt, aber auch für vier Jahre sichern könnten. Thüringens früherer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) machte ebenfalls Merz und Klingbeil für die Lage verantwortlich. „Ich bin krachsauer auf die Koalition“, sagte er der dpa.