Erstmals seit dem Kalten Krieg will Deutschland wieder einen konkreten Verteidigungsplan aufstellen. Doch die Umsetzung könnte sich als schwierig erweisen.

Es klingt nach einem wirklich großen Projekt: „Das soll ein Plan sein, der ausführbar und durchführbar ist, also nicht ein Hirngespinst, ein Gedankenkonzept, sondern tatsächlich etwas Handfestes, was am Ende auch funktionieren kann“, sagte André Bodemann, Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr. Konkret gemeint ist damit der Operationsplan Deutschland (Oplan): Er legt fest, wie Deutschland künftig im Spannungs- oder Verteidigungsfall vorgehen soll.

Die Bundeswehr ist dabei nur eine Gruppe sein, die in die Planungen involviert ist: Auch andere Sicherheitsbehörden, Katastrophenschutzorganisationen und die Industrie sollen mit einbezogen werden. Eine solche Aufstellung hatte Deutschland zuletzt zu Zeiten des Kalten Krieges formuliert. Das deutsche Militär arbeitet angeblich bereits seit einem Jahr an dem Papier. Am Donnerstag wollen Vertreter verschiedener Behörden über das Konzept gemeinsam beraten, schon Ende März soll es fertig sein.

„Völlig unrealistisch“

Mit dem Verteidigungsplan will Deutschland der gestiegenen Bedrohungslage innerhalb Europas Rechnung tragen. Allerdings gibt es Befürchtungen, dass das Konzept überambitioniert sein könnte. Zweifel hat etwa Burkhard Meißner: „Ich halte es für völlig unrealistisch, bis März so einen Plan in endgültiger Form haben zu wollen“, sagte der Militärexperte vom German Institute for Defence and Strategic Studies im Gespräch mit t-online. Wo liegen die konkreten Probleme und was müsste sich in der Bundeswehr ändern?

Grundsätzlich ist es laut Meißner nicht falsch, angesichts einer gewachsenen Bedrohungslage durch Russland einen solchen Plan aufzustellen. Allerdings gebe es in der Praxis große Hürden: Auf der einen Seite habe die Bundeswehr in den vergangenen Jahren etwa die Aufklärung in Sachen Russland „lange vernachlässigt“. Gleichzeitig glaubt der Experte, dass viele Entscheider in der Truppe den Aufgaben nicht gewachsen seien. „Die Mentalität der Bundeswehr macht mir am meisten Sorgen. Polemisch gesagt ist die Bundeswehr gerade keine Armee, sondern eine Selbstverwaltungseinheit. Das lässt sich nicht so schnell beheben.“

Desinformation und Sabotage

Dabei gibt es innerhalb der Bundesregierung das Bestreben, die Bundeswehr umzubauen: Nach Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine hatte Bundeskanzler Olaf Scholz ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr aufgesetzt. Seitdem wurden auch innerhalb des Verteidigungsapparats zahlreiche Reformen angestoßen. Verbesserungen sieht Militärexperte Meißner etwa mittlerweile in den Beschaffungsprozessen, die offenbar deutlich schneller geworden sind.

Wie aber könnte der Verteidigungsplan genau aussehen? Konkret soll sich das Papier mit vier Bedrohungen befassen: Desinformation, Cyberangriffe, Ausspähungen und Sabotage wie etwa Angriffe auf die kritische Infrastruktur. Das könnte laut Generalleutnant Bodemann auch mit ballistischen Raketen erfolgen, vergleichbar mit den Angriffen Russlands auf die Ukraine in diesem und dem vergangenen Winter.

„Kein System kann alle Angriffe abwehren“

Für den Schutz des Luftraums von Raketen hat Deutschland gemeinsam mit mittlerweile 19 Staaten sich in der Initiative „Sky Shield“ zu einer besseren Luftverteidigung verpflichtet. Unter anderem wurde dafür bereits das israelische Raketenabwehrsystem „Arrow 3“ eingekauft, das ab 2025 einsatzfähig sein soll.

„Es ist klug, ein Raketenabwehrsystem zu beschaffen. Aber kein System kann alle Angriffe abwehren“, sagt Burkhard Meißner. Grob müsse man davon ausgehen, dass jedes System nur 50 bis 80 Prozent aller Angriffe verhindern könne. Dementsprechend sei es in diesem Bereich nicht mit solchen Systemen getan. „Einen reinen Verteidigungskrieg führen zu wollen, ist ein Stück weit naiv.“

„Hoffentlich auch keine Luftlandung von russischen Fallschirmjägern“

Laut Meißner ist deshalb ein Umdenken erforderlich: Es müssten neben einem solchen System auch genug Waffen vorhanden sein, um die Raketen nicht nur abzuwehren, sondern auch die entsprechenden Abschussanlagen zu zerstören. Geeignet wären dafür etwa die viel diskutieren Taurus-Marschflugkörper. Die sind laut Meißner allerdings zu teuer und in zu geringer Stückzahl vorhanden.

Doch eine höhere Stückzahl würde zu weiteren Problemen führen: Denn dafür habe die Bundeswehr aktuell nicht genügend Soldaten. Zuletzt hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) davon gesprochen, dass man verschiedene Modelle diskutiere, wie Deutschland wieder zu mehr Soldaten komme. Mehr dazu lesen Sie hier.

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