Ein paar Wochen später. Kalla steht im Weidenpescher Park, einem der ältesten und bedeutendsten Fußballstadien des Landes. Der Himmel ist grau. Zahlreiche Hools finden sich ein, um ihm zum Geburtstag zu gratulieren. Ältere und jüngere. Kalla wird
60. Nachdem er von allen begrüßt wurde, zieht er sich ein wenig zurück und sitzt etwas abseits vom großen Treiben alleine auf einer der Tribünenränge. Er stützt sich auf einer quer hervorstehenden Eisenstange. In seiner Hand eine Zigarette. Er scheint in Erinnerung zu schwelgen. Sein Blick schweift in die Ferne, obwohl sein Kopf gesenkt ist. Geißbock auf dem Shirt, Köln-Emblem an einer Panzerkette am Hals.
„Hooligan wird man aus Überzeugung“, sagt er. „Es ist eine Art Berufung fürs Leben. Einmal Hool, immer Hool.“ Die Gewalt spielt im Leben von Kalla heute keine große Rolle mehr.
Die Hooligan-Szene hat sich insgesamt mittlerweile verändert. In den 1980er und frühen 1990er Jahren galten die Hooligans als ernstes Problem im deutschen Fußball. Es kam zu regelmäßigen Ausschreitungen in und an den Stadien. Die Fanszenen wurden mehr und mehr von Rechtsextremen unterwandert, die Milieus verschmolzen. Köln bildete da eine gewisse Ausnahme. Die Kölner Hooligan-Szene war immer auch stark durchdrungen und geprägt von Migranten. Die Polizei schien machtlos. Mitte der 1990er-Jahre wurden die Vereine dann selbst aktiv, um die Gewalt rund um die Stadien einzudämmen. Man investierte hohe Summen in Fanprojekte – in dieser Zeit gründeten sich auch die Ultras. Eine neue Fanszene, die sich als bedingungslose Unterstützer für den eigenen Verein verstehen, sich aber klar von Gewalt distanzieren. Mit dem Aufkommen der Ultras wurden die Hooligans an den Rand gedrängt. Wirklich verschwunden sind sie aber nicht.
„Wenn du dich in der Szene bewiesen hast, wirst du entsprechend behandelt und hofiert. Dann kommen sie zu dir und freuen sich, sich mit dir unterhalten zu dürfen und dir deine Hand zu schütteln“, sagt Kalla. Dann lässt er eine kurze Pause. „Und das fühlt sich gut an.“ Er spricht leise und höflich und mit fast fragiler Stimme. Anschließend erzählt er von seinem anderen Leben. Von dem Leben, was er abseits des Fußballs führt. Seine Ehe scheiterte, weil er zu wenig Zeit für seine Frau hatte. Der Fußball ging vor. Momentan macht er sich viele Gedanken um seine Mutter. Sie wohnt im Pflegeheim. Er und seine Schwester besuchen sie regelmäßig. Gesundheitlich ist es schwierig, deutet er an. In diesem Moment wird zum ersten Mal in seinen Erzählungen deutlich, dass es für Kalla auch ein Leben fern des Fußballs gibt. Das allerdings hat wenig zu tun mit den epischen Schlachten, den großen Freundschaften und den großen Helden, von denen Kalla mit Begeisterung spricht. Nein, das Leben neben dem Fußball, das ist oftmals einfach nur sehr grau, so wie der Himmel über dem Weidenpescher Park. Als er sich verabschiedet, fallen die ersten Regentropfen.