Die Uhr tickt. Der Anpfiff zur EM im eigenen Land steht unmittelbar bevor. Für ein neues Sommermärchen braucht es viel, vor allem aber eine erfolgreiche Nationalmannschaft. Wo das deutsche Team heute steht, erklärt Stefan Effenberg.

Wer führt Deutschland zum Titel im eigenen Land? Ist die Nationalmannschaft bereit für die Heim-EM? Wer spielt am Freitag im Eröffnungsspiel in München gegen Schottland? Welche Rolle spielt der schwächelnde Kapitän İlkay Gündoğan? Patzt Torwart Manuel Neuer wieder? Wer soll die Tore schießen?

Deutschland diskutiert und fiebert dem Anstoß entgegen. Deutschland sehnt sich nach einem Sommermärchen. Aber kein Märchen ohne Wunder. Kaum einer kennt den deutschen Fußball so in- und auswendig wie Stefan Effenberg, Ex-Nationalspieler, Fußball-Legende und t-online-Experte. t-online hat ihn zum großen Interview zur Heim-EM in Hamburg getroffen.

t-online: Wie und wo schauen Sie die Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland?

Stefan Effenberg: Entweder zu Hause oder eben beruflich im Studio, wenn ich als Experte gebucht bin. Einen Stadionbesuch habe ich nicht eingeplant. Ich muss meine Ruhe haben. Ich gucke ein bisschen anders als der normale Fan. Höchstens mit meiner Frau Claudia oder im ganz, ganz kleinen Kreis. Ich kann nicht mit zehn oder 15 Freunden Fußball gucken. Da muss ich schon für mich sein.

Wie muss man sich den Fußballfan Stefan Effenberg vor dem Fernseher vorstellen? Still? Laut? Schimpfend? Jubelnd?

Bei den Deutschen juble ich schon. Wahrscheinlich. Hoffentlich. Aber ansonsten gucke ich wirklich ganz ruhig, still und konzentriert. Das ist mein Job. Ich will hinterher für Analysen gut vorbereitet sein, für t-online, für RTL oder für den „Doppelpass“ bei Sport1. Ich schaue Fußball durch die Brille des Experten.

Im Deutschland-Trikot? Haben Sie das pinke Auswärtstrikot gekauft?

Ich sitze nicht im Deutschland-Trikot vor dem Fernseher, nein (lacht).

Lassen Sie uns mal nicht zu viel über Trikotfarben diskutieren, bitte. Im Endeffekt muss die Mannschaft Leistung bringen und abliefern. Darum geht es. Wenn das Team gut spielt, ist die Trikotfarbe völlig egal. Ich hab‘ meine Frau gefragt, wie sie das Trikot findet. Sie findet es schön. Aber mir ist es echt egal. Viele werden in ihren traditionellen Farben auflaufen. Da heben wir uns vielleicht ein Stück weit ab.

Stefan Effenberg. (Quelle: IMAGO/Mladen Lackovic/imago)

Stefan Effenberg (55) stammt aus Hamburg. Der Mittelfeldspieler gelangte über Borussia Mönchengladbach und die Münchner Bayern auch in die Nationalmannschaft, für die er 35 Länderspiele absolvierte. Mit Gladbach holte er den bis heute letzten Titel im DFB-Pokal 1995. Mit dem FC Bayern München gewann er 2001 als Kapitän die Champions League, darüber hinaus drei Deutsche Meisterschaften und zweimal den Pokal. In Florenz und Katar sammelte er Auslandserfahrungen. Nach dem Ende seiner Spielerkarriere machte der „Tiger“ in Paderborn als Trainer und in Krefeld als Manager Station. Vor allem aber ist er als meinungsstarker Fußball-TV-Experte und regelmäßiger Kolumnist von t-online bekannt.

Wie weit kann die Nationalmannschaft bei der Heim-EM kommen? Wo steht sie derzeit?

Die Testspiele gegen die Ukraine und Griechenland haben aus meiner Sicht die Sinne geschärft. Für den Start in ein Turnier ist es sogar besser, wenn eine gewisse Unsicherheit herrscht und eine Mannschaft sich nicht zu sicher fühlt. Ich will das nicht überbewerten, um Gottes willen, es war über weite Strecken okay. Aber okay ist eben auch nicht richtig gut, sondern nur okay. Wir wissen ja, was auf die Mannschaft zukommt, schon mit den Schotten im Eröffnungsspiel. Ich glaube trotzdem, da sollten wir durchkommen. Und wenn wir das schaffen, ist es auch okay, aber noch nicht richtig gut.

Deutschland trennte sich im vorletzten EM-Test torlos von der Ukraine. (Quelle: Tom Weller/dpa/dpa-bilder)

Was fehlt im Moment noch für eine erfolgreiche EM?

Wenn es wirklich darauf ankommt und die Spieler wissen „Jetzt laufen wir ein, jetzt geht’s los“, dann passiert etwas: Du hast noch mehr Adrenalin und du weißt, jetzt musst du. Wenn dieses Bewusstsein da ist, wenn die Stimmung des Eröffnungsspiels greift, dann werden Kräfte frei, die genügen, um gegen Schottland zu gewinnen. Und das muss auch passieren, denn: Die Schotten sind zwar der leichteste Gegner, aber die werden ihre Haut teuer verkaufen wollen. Bis aufs Blut. Aber du brauchst den Sieg, sonst setzt gegen Ungarn und dann gegen die Schweiz die große Nervosität ein, und das sollte auf keinen Fall passieren.

Sie selbst haben in diesen Momenten, in denen es wirklich darauf ankommt, zur Not auch mal einen Gegenspieler im Mittelkreis umgemäht, um ein Zeichen zu setzen. Fehlt so ein Spieler heute?

Share.
Exit mobile version