Streit um Ex-Verfassungsschutzchef: “Maaßen hat das demokratische Feld verlassen”

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Interview

Stand: 31.01.2023 16:34 Uhr

Der CDU-Politiker Maaßen bezeichnet die Antisemitismusvorwürfe gegen ihn als “an den Haaren herbeigezogen”. Doron Kiesel vom Zentralrat der Juden erläutert im Kontraste-Interview, inwiefern Maaßens Äußerungen an “Nazi-Sprech” erinnern.

Kontraste: Wie bewerten Sie die Äußerungen des ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, in letzter Zeit?

Doron Kiesel: Die Härte, mit der Herr Maaßen heute argumentiert und die befremdlichen Bilder, die er aus der Schatzkiste des nationalsozialistischen Feldes bemüht, machen deutlich, wie er denkt und wie er wahrscheinlich auch schon früher gedacht hat. Nur haben wir dies nicht gemerkt. Wir wissen heute umso mehr, dass wir auf Sprache, auf Bilder, auf Äußerungen, auf Haltungen, auf Überzeugungen achten müssen – gerade dann, wenn wir Positionen dieser Art an politisch einflussreiche Personen übertragen.

Zur Person

Doron Kiesel ist Direktor der Jüdischen Akademie des Zentralrats der Juden in Deutschland. Kiesel studierte Sozial- und Erziehungswissenschaften an den Universitäten Jerusalem, Frankfurt am Main und Heidelberg und war Professor für interkulturelle und internationale Pädagogik an der Fachhochschule Erfurt. Seit 2012 leitet er die Bildungsarbeit des Zentralrats der Juden.

Kontraste: Herr Maaßen prangert beispielsweise “Globalisten” an. Was ist damit gemeint? 

Kiesel: Das ist eine bewährte antisemitische Figur. Juden werden im Kontext dieser Verschwörungsideologie in der Regel als Menschen bezeichnet, die nicht bodenständig und berechenbar sind, sondern sich global orientieren. Demnach verfolgen sie ihre Interessen in den unterschiedlichen Sphären, in denen sie leben. Sie streben nach finanzieller, politischer oder kultureller Macht. Sie sind nicht fassbar und werden weltweit als Gefahr empfunden.

Gegenstand dieser Projektion sind zumeist Juden, weil sie sich aus historischen und wirtschaftlichen Gründen tatsächlich nicht auf einem nationalen Territorium niederlassen konnten, sondern nach ihrer Zerstreuung in verschiedene Länder und Regionen – also global – ansässig sind. Dies als Gefahr darzustellen ist eine bewährte antisemitische Weltsicht, in der den Juden fehlende Loyalität gegenüber den Herrschenden und Mächtigen unterstellt wird. Zugleich wird gegen sie der Vorwurf erhoben, die deutsche Bevölkerung ausbeuten zu wollen.

Kontraste: Maaßen selbst weist Antisemitismusvorwürfe gegen ihn pauschal als falsch zurück. Er beklagt auch, der Antisemitismusvorwurf sei in Deutschland der “diskursive Todesstoß”. 

Kiesel: Diese Redewendung ist bekannt. Antisemiten sind heutzutage nicht so aufgestellt, dass sie stolz auf ihren Antisemitismus sind. Menschen, die heute offen rassistisch oder antisemitisch argumentieren, werden hier in Deutschland schnell die Erfahrung machen, dass sie aus dem gesellschaftlichen Diskurs ausgegrenzt werden. Herr Maaßen formuliert seine Position zwar nicht explizit antisemitisch, aber seine Sprachbilder verraten, wessen Geisteshaltung er ist.

Kontraste: Was meinen Sie damit?

Kiesel: Wenn wir uns auf seine Sprachspiele einlassen, auf die Wahl seiner Worte und auf die Bilder, die er nutzt, dann können wir sehr wohl feststellen, dass das Vokabular, das er benutzt, eines ist, was eine sehr braune, sprich nationalsozialistische Tradition aufweist. Er scheut sich nicht davor, rassistische Überzeugungen so zu formulieren, dass sie als genuiner Nazi-Sprech erkennbar sind. Er unterstellt dabei denjenigen politischen Gruppierungen genau die Absichten, die er verfolgt.

So meint er bei seinen politischen Gegnern “einen eliminatorischen Rassismus gegen Weiße” zu erkennen und faselt von einer “rot-grünen Rassenlehre”. Es ist naheliegend, dass ein Mensch, der sein Umfeld auf diese Weise charakterisiert, früher oder später auch die Juden zu seinem Feindbild erklären wird, da sie sich entschieden haben, sich gegen jede Form des Rassismus zu wenden. Dieser Mann hat das demokratische Feld verlassen und bewegt sich mit zunehmender Freude im völkischen Milieu.

Kontraste: Inwiefern halten Sie Maaßens Äußerungen für problematisch? 

Kiesel: Ich finde seine Haltungen nicht nur problematisch. Sie sind eine systematische Infragestellung unserer Gesellschaftsordnung. Er stigmatisiert Menschen, indem er ihnen menschenverachtende Praktiken unterstellt und ruft somit implizit auf, sie zu verfolgen und auszugrenzen.

Er formuliert Vorwürfe und Beschuldigungen und beansprucht ein Monopol, über andere zu richten, die ihm nicht folgen. Diese Perspektive hat ihre Wurzeln in der nationalsozialistischen Rassenlehre, die zum Todesurteil für das europäische Judentum wurde. Daher sind wir so sehr beunruhigt, wenn wir Zeugen der Auftritte Maaßens und seiner Äußerungen werden. 

Kontraste: Welche Gefahr geht Ihrer Meinung nach davon aus?

Kiesel: Herr Maaßen weiß, dass er in der Bundesrepublik mit einem festen Kern von Anhängern rechnen kann. Noch ist diese Gruppe politisch nicht sonderlich relevant, aber wir wissen von anderen Ländern, wie sich unter bestimmten ökonomischen, politischen oder demographischen Bedingungen die politische Landschaft verändern kann. Ein ehemaliger Verfassungsschutzpräsident, der sich als politischer Brandbeschleuniger betätigt, ist Ausdruck dafür, dass das Eis, auf dem unsere Demokratie basiert, noch immer ziemlich dünn ist.

Kontraste: Was denken Sie darüber, dass Maaßen sechs Jahre lang Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz war?  

Kiesel: Das Entsetzen liegt darin, dass wir es in all den Jahren offensichtlich nicht geschafft haben, zu erkennen, dass jemand in einer solchen Position genau dieses grundgesetzlich verankerte System abschaffen will, das uns schützt und das auch für uns Juden eine Voraussetzung ist, um hier leben zu können. Dies ist eine Kritik an der eigenen Rezeption von politischer Wirklichkeit.

Das Interview führte Daniel Laufer vom RBB. Es wurde für die schriftliche Fassung gekürzt und redigiert.

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