Jeden Tag beantwortet ein Experte aus der t-online-Ratgeberredaktion eine Leserfrage rund ums Geld. Heute: Schulden abbauen oder Vermögen aufbauen?

Wer die Grundregeln der Geldanlage kennt, der weiß: erst Schulden abbauen, dann Geld anlegen. Doch jede Regel hat ihre Ausnahme. Denn nicht immer sparen Sie durchs Schuldentilgen mehr Zinsen, als Sie mit der gleichen Summe beim Anlegen reinholen könnten.

Aber von vorn: Normalerweise tun Sie gut daran, Kredite und Darlehen so schnell wie möglich abzubezahlen. Denn eine längere Laufzeit bedeutet immer auch höhere Zinskosten. Tilgen Sie einen Kredit nicht oder nur in geringem Maße, zahlen Sie immer weiter Zinsen, ohne die geliehene Summe nennenswert zu verringern. Das schränkt nicht nur Ihre finanziellen Möglichkeiten ein, sondern dürfte die meisten Menschen auch psychisch belasten. Schulden abzubauen, bedeutet also in jedem Fall weniger Stress.

Ob ein Kredit immer erst bei null stehen sollte, bevor Sie auch nur einen Euro anderweitig anlegen können, hängt aber maßgeblich von der Höhe der Kreditzinsen und Ihrer finanziellen Lage ab. Haben Sie zum Beispiel im Jahr 2019 einen Immobilienkredit aufgenommen, ist die Chance groß, dass der Zinssatz auf diese Schulden sehr niedrig ist. Bauzinsen von 1,5 Prozent bei einer Laufzeit von 15 Jahren waren damals jedenfalls nicht unüblich. Heute zahlen Sie häufig zwei Prozentpunkte mehr.

Wenn Sie über einen solchen günstigen Kredit mit langer Zinsbindung verfügen und zusätzlich ein ausreichend hohes regelmäßiges Einkommen haben, spricht nichts dagegen, trotz Baukredit mit dem Investieren zu beginnen. Insbesondere günstige Anlagen wie ETFs bringen in aller Regel Erträge oberhalb der niedrigen Bauzinsen. Eine Garantie gibt es dafür aber nicht. Andererseits: Solange Sie das Darlehen weiter aus Ihren laufenden Einnahmen bedienen können, setzen Sie sich mit einer kleinen Sparrate auf einen weltweit streuenden ETF keinem großen Risiko aus.

Es gibt sogar Situationen, in denen die Geldanlage nicht nur parallel zum Schuldenabbau möglich, sondern sogar die lohnendere Alternative ist. So kann es in Zeiten hoher Inflation sinnvoll sein, Schulden mit festen Zinsen nicht überstürzt abzubezahlen.

Klassisches Beispiel ist wieder der Immobilienkredit: Statt Geld in eine Sondertilgung zu stecken, die Ihnen vergleichsweise geringe Zinskosten spart, könnten Sie es auch in Festgeld anlegen. Dafür bekommen Sie in Zeiten hoher Inflation typischerweise höhere Zinsen, da die Zentralbanken die Inflation mit Leitzinserhöhungen bekämpfen. Der Ertrag wäre dann größer als die Ersparnis durch die Sondertilgung.

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