Verteidigungsminister Boris Pistorius schlägt vor, die Bundeswehr für ausländische Staatsbürger zu öffnen. Dieser Vorstoß mag irritieren, aus der Luft gegriffen ist er jedoch nicht.
Ausländische Söldner, fehlende Loyalität zur Bundesrepublik, Abkürzung zum deutschen Pass: Die Kritik am Vorschlag des Verteidigungsministers, ausländische Rekruten zur Bundeswehr zuzulassen, ließ nicht lange auf sich warten.
Der Vorstoß von Boris Pistorius (SPD) mag zunächst irritieren, zumal es viele offene Fragen gibt. Aber angesichts der Strukturprobleme der Truppe ist er es wert, darüber nachzudenken.
Denn: Die Personallage der Bundeswehr ist dramatisch. Von den 183.000 Dienstposten sind knapp 20.000 unbesetzt. An das Ziel von 203.000 Soldaten bis 2027 glauben hinter vorgehaltener Hand selbst Verteidigungspolitiker der Ampel nicht mehr.
Pistorius muss unkonventionell denken
Der Personalnotstand ist ein politisches Gesamtversagen der letzten Jahrzehnte, das ein Mann allein nicht reparieren kann. Und doch trägt Verteidigungsminister Boris Pistorius die politische Verantwortung, genau das zu leisten. Denn ohne eine Lösung des Personalproblems ist die Zeitenwende nicht zu machen. Wenn die Wiedereinführung der Wehrpflicht nicht gewollt wird und die Werbekampagnen der Truppe nicht ziehen, welche Alternativen gibt es dann? Die Zeit drängt.
Der Minister muss daher auch unkonventionell denken – zumindest für deutsche Gepflogenheiten. In Streitkräften auch Ausländer zu beschäftigen, ist nämlich in anderen Ländern längst Standard: in Belgien, Frankreich, Dänemark, Großbritannien, den USA, um nur einige zu nennen.
EU-Bürgern den Weg in die Bundeswehr zu ebnen, wäre auch ein Beitrag zur Europäisierung der Streitkräfte. Ein alter Traum, der zuletzt immer weiter in die Ferne rückte. Dabei wird oft übersehen: In der Bundeswehr dienen bereits ausländische Staatsbürger. Niederländische Panzergrenadiere sind deutschen Kommandeuren der 1. Panzerdivision unterstellt. Im Gegenzug kommandieren niederländische Kapitäne deutsche Matrosen. Auch in der deutsch-französischen Brigade in Müllheim (Baden-Württemberg) dienen deutsche neben französischen Staatsbürgern in Uniform.
Die Befürchtung, dass jemand im Kriegsfall sein Leben nicht für die Verteidigung der Bundesrepublik opfern würde, weil ihm der deutsche Pass fehlt, greift zu kurz. Warum schicken wir eine Brigade nach Litauen, wenn wir davon ausgehen, dass die dort stationierten Bundeswehrsoldaten im Ernstfall zurückweichen, weil es ja nicht ihr Land ist, das sie dort verteidigen?
Deutschlands Sicherheit ist von Bündnispartnern abhängig
Seit Wladimir Putins Invasionskrieg in der Ukraine gibt es aus Sicht der Nato-Staaten eine gemeinsame Bedrohung: Russland. Die Gefahr für die europäische Sicherheit ist real – egal, ob man Pole, Franzose oder Lette ist. Das schweißt zusammen.
Zudem: Deutschland verteidigt sich im Bündnis. Die Sicherheit der Bundesrepublik ist existenziell von den Nato-Partnern abhängig, das heißt auch von Slowaken, Rumänen und Polen. Wenn nun eine überschaubare Zahl dieser Soldaten ohne deutschen Pass, anstatt an der Nato-Ostflanke zu stehen, direkt unter deutsches Kommando gestellt würden, dienten sie im Grunde dem gleichen Ziel: das Bündnisgebiet verteidigen, Russland abschrecken. Die „Loyalitätslücke“ ist womöglich kleiner als befürchtet.
Pistorius muss jetzt allerdings die grundlegenden Fragen beantworten: Wer darf mitmachen? Werden Deutschkenntnisse zur Grundvoraussetzung? Soll der deutsche Pass ein Anreiz sein? Erst dann kann beurteilt werden, wie sinnvoll der Vorschlag wirklich ist.